Geschichte Geschichte: Der Geist von Weimar

Weimar/dpa. - Dunkel liegt der braune Schatten auf der WeimarerRepublik, die engagierte Demokraten vor 90 Jahren im Chaos nach demErsten Weltkrieg aus der Taufe hoben. Über Jahrzehnte wurde dieserAufbruch vor allem von seinem Ende her - der Machtergreifung derNationalsozialisten - betrachtet, erklärt der Jenaer HistorikerStefan Gerber. Erst nach dem Fall der Mauer habe sich der Blickgeweitet. «Jetzt erkennen wir auch die Leistungen dieser Zeit an.»
Der Sinneswandel zeigt sich auch in Weimar selbst, das sichlangsam mit dem historischen Datum - der konstituierenden Sitzung derNationalversammlung am 6. Februar 1919 - anfreundet. Die konservativeResidenzstadt mit damals rund 30 000 Einwohnern stand demgeschichtsträchtigen Ereignis von Beginn an kritisch gegenüber. «DieBewohner gehörten nicht zu den glühenden Verfechtern der Demokratie»,sagt Stadtarchivar Justus Ulbricht. Aber es habe in der Stadt auchSozialdemokraten gegeben, die das Anliegen stützten. «In diesem Sinnespiegelt Weimar die damalige Spaltung Deutschlands wieder.»
Letztendlich war der Ort mit dem Ansturm der rund 450Abgeordneten, hunderter Beamter sowie internationaler Beobachter undJournalisten überfordert. Die Preise für die raren Lebensmittelstiegen drastisch. «Auch die Abgeordneten beschweren sich in Briefenüber die schwierige Quartiersuche und über Langeweile», erzähltGerber. «Sie monierten, dass sie auch am Abend immer wieder dieselbenGesichter sehen.»
Zur Ehre des Sitzungsortes kam Weimar mehr oder minder zufällig.Den im Januar gewählten Parlamentariern war schnell klar, dass sie imrevolutionär aufgewühlten Berlin nicht die Ruhe für die Erarbeitungder Verfassung finden können. «Die Entscheidung fiel ausSicherheitsgründen. Die Stadt war mit einer überschaubaren Zahl vonSoldaten zu schützen», sagt Gerber. Ein weiteres Argumente war diezentrale Lage. Weimar als Hort des Humanismus spielte dagegen eineuntergeordnete Rolle. Das nutzte erst Reichspräsident FriedrichEbert, der in der Debatte den Bogen vom Weltbürgertum Goethes zurRepublik zog.
Nach dem Krieg distanzierten sich die Regierungen im geteiltenDeutschland von Weimar. Die DDR sprach vom Steigbügelhalter für dieNazis, im Westen machte der Satz «Bonn ist nicht Weimar» die Runde.«Die Politiker waren geprägt von der Weimarer Republik, vor allem vonihrem Niedergang», sagt Ulbricht. «Für sie war Weimar einSchreckgespenst. Diese Entwicklung durfte sich keinesfallswiederholen.»
In der Stadt fanden sich deshalb nur wenige Hinweise auf diedemokratische Geschichte. Lieber sonnte sich Weimar im Glanze derpolitisch unverdächtigen Klassiker Johann Wolfgang von Goethe undFriedrich Schiller. Das änderte sich erst mit dem Mauerfall 1989 undder Ernennung Weimars zur Kulturhauptstadt 1999. «Vor allem imKulturstadtjahr gab es offene Debatten auch über die dunklen Seitender Stadt wie das Konzentrationslager Buchenwald. Dadurch hat sichdas Klima geändert», sagt Ulbricht.
Zum 90. Jahrestag der konstituierenden Sitzung derNationalversammlung am 6. Februar hat Weimar ein stattliches Programmzusammengestellt, bei dem sich unter anderem Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Ehre gibt. Eine Ausstellung soll dieChancen des damaligen Aufbruchs herausstellen. Der Leiter desStadtmuseums, Alf Rößner, verbindet mit ihr eine Überlebenshoffnung.Mit einem anerkannten Schwerpunkt «Nationalversammlung» könnte ersein Haus bei der großen Konkurrenz in Weimar profilieren.
Die Chancen dafür stehen gut. «Die Historiker betrachten mehr undmehr die Wirkungen der Weimarer Zeit und der Verfassung und nichtmehr nur ihre Konstruktionsfehler», sagt Gerber. Zu den Erfolgenzählt er das Frauenwahlrecht, die parlamentarische Ordnung und dieGrundrechte. Auch Archivar Ulbricht würdigt Weimar: «Damals tratenalle großen Köpfe wie Kaiser und Fürsten kampflos ab und hinterließeneine offene Situation, die die Demokraten mit bewundernswerterHartnäckigkeit füllten. Sie sagten "Yes we can" und sind damitVorbilder für heute.»

