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Geschichte Geschichte: Bibliothek des DDR-Politbüros sucht neue Liebhaber

08.01.2004, 10:53
Blick in die einstige Bibliothek des damaligen DDR-Staats- und Parteichefs Walter Ulbricht (1893-1973) in dessen Wohnhaus in Wandlitz nördlich von Berlin, aufgenommen am 2. Dezember 2003. Als die DDR-Größen nach der Wende die Politbürosiedlung verlassen hatten, blieben größere Bestände aus ihren Bibliotheken zurück, die man nach und nach mit dem Aufbau der Brandenburg Klinik auf dem Gelände in zwei Räumen von Ulbrichts ehemaligen Gemächern zusammenführte. (Foto: dpa)
Blick in die einstige Bibliothek des damaligen DDR-Staats- und Parteichefs Walter Ulbricht (1893-1973) in dessen Wohnhaus in Wandlitz nördlich von Berlin, aufgenommen am 2. Dezember 2003. Als die DDR-Größen nach der Wende die Politbürosiedlung verlassen hatten, blieben größere Bestände aus ihren Bibliotheken zurück, die man nach und nach mit dem Aufbau der Brandenburg Klinik auf dem Gelände in zwei Räumen von Ulbrichts ehemaligen Gemächern zusammenführte. (Foto: dpa) dpa

Bernau/dpa. - Heute steht auf dem Gelände der weitläufigen, eigentlich zu Bernau gehörenden Waldsiedlung eine Reha-Klinik. In einem abgelegenen Waldstückchen des Areals steuert Mitarbeiter Kurt Rekow zielstrebig auf das kleine Haus im Habichtweg 1 zu. Hier verbrachte der Erste Sekretär des SED-Zentralkomitees, Walter Ulbricht, vom Bau der Siedlung 1960 bis zu seiner Entmachtung 1971 seine Mußestunden.

Umgeben von Regalen voller Romane, Ratgeber und Tierbücherstöberte der Staatsratsvorsitzende vielleicht in den Neuerscheinungender DDR-Verlage oder hörte Jazz-Schallplatten. Das dunkel-muffigeAmbiente der zwei Lesezimmer, die vergilbten Vorhänge und diealtmodischen Polsterstühle lassen eine Ahnung aufkommen, wie dereinst mächtigste Mann der DDR seinen Feierabend verbrachte.

Als die Siedlung nach der Wende umgebaut werden sollte, führte dieBrandenburg Klinik GmbH & Co. KG die zurückgelassenen Bücher allerPolitbüro-Mitglieder in Ulbrichts Gemächern zusammen. «Man kann nichtmehr zuordnen, was zum Beispiel Honecker gern gelesen hat», bedauertder technische Mitarbeiter. Die Klinik will künftig auch UlbrichtsHaus für medizinische Zwecke nutzen. Derzeit bauen es Handwerker um.Einzig die beiden Bibliotheksräume sind noch im originalgetreuenZustand.

Nach Presseberichten über den Bestand klingelte im Vorzimmer vonKai-Uwe Michels, dem Geschäftsführer der Klinik, immer häufiger dasTelefon. So meldeten die Büchereien der umliegenden Gemeinden ihrInteresse an. Im einstigen NVA-Führungsbunker in Harnekop (Märkisch-Oderland) sollen die Werke für Touristen ausgestellt werden. AuchPrivatleute sind angetan, sie wollen jedoch einfach nur stöbern. DieGeschäftsführung der Klinik will sich nun bis Februar Zeit nehmen, umdie Anfragen auszuwerten.

Bis Mitte der 90er Jahre nutzten die Patienten der Klinik vor denToren Berlins die Bücherei; dann richtete das Krankenhaus einezentralere Bibliothek ein. Nach einem Besuch in diesem Jahrinformierte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) dasBundesarchiv über die vermeintlichen Schätze. Dort fand man aber nacheingehender Prüfung keine Verwendung für sie. Die wertvollstenWerke hatte Ulbrichts Witwe bereits an das Parteiarchiv gegeben. DiePolitbüro-Mitglieder wiederum nahmen beim Auszug ihre persönlicheLieblingslektüre mit.

Zu den jetzigen Interessenten gehört auch das Haus der Geschichtein Bonn. «Wir können uns das vorstellen», sagt Inge Keßler,wissenschaftliche Leiterin des dortigen Informationszentrums zu einermöglichen Übernahme. Für das Museum wäre es allerdings wichtig, diegenauen Besitzer der Bücher zu kennen - was schwierig werden dürfte:In den bisher gesichteten Bänden fanden sich keine Anstreichungen,Widmungen oder Kommentare.

Jedes Politbüro-Mitglied habe von den meisten neuen DDR-Büchernautomatisch ein Exemplar erhalten, sagt Rekow. In den wenigstendürfte im Schein der Leselampen geblättert worden sein. So bleibt imDunkeln, wobei sich die DDR-Regenten entspannten. Mit derSchallplatte «Gymnastik für alle über vierzig»? Oder mit Traktatendes französischen Philosophen Jean-Paul Sartre?

Vielleicht war es auch das «wertvollste Buch», wie Rekow esscherzhaft nennt: äußerlich ein massives Lexikon, doch stattgesammeltem Wissen enthält es zwei Hohlräume für Schnapsflaschen.