Kinofilm über Gerhard Gundermann Gerhard Gundermann: Andreas Dresen dreht Kinofilm über den Engel über dem Revier

„Ruhe bitte, wir drehen“, schallt es aus dem kleinen Pavillon, in dem Regisseur Andreas Dresen vor zwei Flachbildschirmen hockt und die Kameraeinstellungen prüft. In der Statistentraube vor der Bühne, die direkt unter einem der Braunkohlebagger von Ferropolis steht, verschwinden die Regenschirme, die gelben Schutzhelme werden zurechtgerückt und auf der Bühne lockert die Band die Schultern.
„Playback ab“, ruft es, jemand antwortet „Kamera läuft“. Dresen sagt „und bitte“ und Gerhard Gundermann beginnt mit dem Lied von seiner Geliebten „Brigitta“, die keine Frau, sondern eine Braunkohlegrube ist.
Gerhard Gundermann: Kinofilm über den Sänger von Andreas Dresen
Natürlich ist das nicht Gerhard Gundermann, der da mit seiner Band „Seilschaft“ im kalten Novemberregen des Jahres 2017 seht und aussieht wie der 1998 im Alter von nur 43 Jahren an einem Hirnschlag verstorbene Liedermacher. Aber der Schauspieler Alexander Scheer, seit seinem Auftritt in Leander Haußmanns „Sonnenallee“ ein Star, verkörpert „Gundi“ beängstigend echt: Ein Zopf aus dünnem Blondhaar, auf der Nase die DDR-Kassenbrille, unter der Jacke blitzt das Fleischerhemd mit Hosenträgern.
Beginnt Scheer dann auch noch zu singen, fährt die Zeitmaschine hoch. Wie Gundermann näselt es schnupfig und aus dem Wort „nichts“ wird ein genuscheltes „nüscht“.
Peter Hartwig bekommt immer noch eine Gänsehaut, wenn er Scheer als Gundermann sieht. „Wir haben schon Leute gecastet“, erklärt der Produzent, der mit Andreas Dresen zuletzt „Als wir träumten“ von Clemens Meyer verfilmt hat. Es brauchte keine lange Suche. „Alexander bringt einfach alles mit.“
Für einen Film, der schon eine lange Geschichte hatte, ehe die erste Klappe fiel. Vor zehn Jahren hatte Andreas Dresen die Idee, das kurze und bewegte Leben des aus Weimar stammenden Arbeiters, Künstlers und Familienvaters zu erzählen. „Gundermann ist eine spannende Figur“, sagt der Regisseur, acht Jahre nach dem Sänger im nur 70 Kilometer entfernten Gera geboren.
Für Dresen, der zusammen mit dem Schauspieler Axel Prahl selbst eine Band hat, die Gundermann-Songs spielt, ist Gundermann der Rio Reiser des Ostens. Authentischer als andere und immer ehrlich. „Er hat von sich gesungen.“
Gerhard Gundermann: Andreas Dresen will dem Rio Reiser des Ostens ein filmisches Denkmal setzen
Einmal, erinnert sich der Grimme-Preisträger, habe er Gundermann auf der Bühne erlebt. In Schwerin war das, in den 80ern. „Später waren es dann die Lieder, an denen man nicht vorbeikam“, sagt Dresen, „diese Kraft und Poesie, dazu dieser Lebensweg mit seinen Brüchen und Wendungen.“
Es ist Drehpause, die Komparsen in ihren Bergmannsjacken huschen einen Kaffee trinken. Dresen dagegen steht mit Pudelmütze und blitzenden Augen neben Hartwig, den eine Russentschapka gegen den scharfen Wind schützt.
Beide reden über die Faszination des singenden Baggerfahrers, der nie abhängig sein wollte von der Musik. Lieber fuhr Gundermann nach einem Konzert in Halle die 200 Kilometer zur Schicht in den Tagebau. „Er wollte seinen Lebensunterhalt eben mit seiner Hände Arbeit verdienen“, sagt Dresen, „und im Kontakt mit der Wirklichkeit bleiben.“
Gundi kletterte in seinen Songs vom hohen Roß der realsozialistischen Welterklärer, er beschrieb das Leben aus der Sicht der kleinen Leute, mit denen er auf seinem Bagger im Tagebau Spreetal Schichten runterriss. Dazu spielte seine Band Musik, die nach Springsteen klang, dem „Boss“, den er verehrte wie keinen sonst.
Die Szene, die sie gerade unter dem Ausleger von Schwenkbagger „Mosquito“ drehen, steht dafür. „Das ist ein Konzert, das Gundi 1992 für seine Kumpel im Tagebau gegeben hat“, erklärt Hartwig.
Und im Drehbuch sei es genau so beschrieben, freut sich Dresen. „Widerlicher Pieselregen wie jetzt.“ Alexander Scheer bläst sich in die Gitarrenhände. Norman Ernst, ein Komparse aus Halle, der eigentlich Büroangestellter ist, wirft eine Decke über. Nein, von Gundermann hatte er vorher nie etwas gehört. Aber interessant ist es. „Mit Schnauzbart und Rauchen am Set und so.“
Das hier sind die 90er Jahre, als der echte Gundermann eine Kerze ist, die an beiden Enden brennt. „Anstrengend“, sagt Dresen, sei er ja auch gewesen, der Gundermann. Immer.
Anfangs ist er ein so überzeugter Kommunist, dass er sich freiwillig als Offiziersschüler zur NVA meldet. Wenig später fliegt er von der Offiziersschule. Die SED wirft ihn gleich zweimal wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ raus. „Heute Nachmittag kommt Peter Sodann, der im Film einen Genossen spielt, der Gundermann zu Parteidisziplin mahnen soll“, erzählt Peter Hartwig.
Andreas Dresen, der mit Drehbuchautorin Laila Stieler ein Jahrzehnt lang bei der Familie, bei Musikerkollegen und Freunden über Gundermann geforscht hat, nennt den Helden seines Filmes eine „unverschämt revoluzzerhafte“ Figur.
„Einmal hatte er den SED-Bezirkssekretär bei einem Besuch im Tagebau gefragt, warum er ein Westauto fahre“, schmunzelt Peter Hartwig. Für Gundermann war das Verrat am Sozialismus. Er, der Rebell, paktiert mit der Staatssicherheit gegen die Feinde seines Sozialismus und bespitzelt als IM Grigori Kollegen und Freunde. Gundermann liefere Berichte „sehr guter Qualität“, lobt ihn die 500-seitige Akte.
Gerhard Gundermann: Kinofilm von Andreas Dresen zeigt auch die Zusammenarbeit mit der Stasi
Gundermann selbst wird weniger glücklich mit dem MfS. Wenn er auf Schwindelei bei der Planerfüllung und Privilegien von SED-Funktionären hinweist, winken die MfS-Genossen ab. „Ich dachte, ich bin deren Partner, doch ich war für die bloß der Dackel“, hat er später gesagt.
Da ist aus dem Stasi-Spitzel schon ein Systemkritiker geworden, dem die Stasi am Hacken klebt. Als Spitzel sei „Grigori“ nicht mehr brauchbar, heißt es am Ende seiner Akte: Der IM habe bei Treffen nur noch Marx zitiert und aus dem SED-Statut vorgelesen.
Gundermanns Leben erzähle eine andere Geschichte von der DDR als man sie sonst finde, glaubt Andreas Dresen. Nicht glatt, sondern widersprüchlich. Vielleicht deshalb dauerte es, die Finanzierung zu stemmen. Man brauche einen langem Atem, sagt Produzent Hartwig, der bei RBB und Mitteldeutscher Medienförderung schließlich offene Türen einrannte. Vier Millionen schwer ist der Etat, gedreht wird auch in Essen, in Dessau und der halleschen Silberhöhe. Mit Axel Prahl, Bjarne Mädel und Kathrin Angerer stehen neben Sodann weitere Prominente vor der Kamera.
„In den 70er und 80er Jahren ist der Film auch eine Liebesgeschichte“, schmunzelt Hartwig. In den 90ern, als der Erfolg sich anschleicht und Gundermann mit Bob Dylan tourt, tauchen dann die Dämonen aus der Vergangenheit wieder auf. „Er muss sich die Frage stellen, wie verstrickt man ist, wenn man sich mit einem Land eingelassen hat wie er.“
Gerhard Gundermann hat mit Liedern geantwortet. Sitzt er auf seinem Bagger, liegt ein Diktiergerät neben ihm. „Auf den Bändern haben wir Songideen und Textstückchen gefunden“, erklärt Andreas Dresen. Es sei gewesen, als schaue man Gundi bei der Arbeit zu. „Es hat ihm unglaublich wehgetan, als der Tagebau zumachte und er zum Tischler umschulte“, sagt Peter Hartwig. Nicht nur, dass der Bagger-Rhythmus fehlte. In der Werkstatt habe immer ein Popsender geplärrt. „Da konnte er keine Lieder mehr schreiben.“
Für den Kinofilm über Gerhard Gundermann von Andreas Dresen wurden 19 Songs eingespielt
Als Gundermann mit dem Song „Engel über dem Revier“ Abschied von der Kohle nimmt, hat er nur noch ein Jahr zu leben. „Tragisch“, sagt Peter Hartwig, aber „Gundermann“, wie Dresens Film heißen wird, sei trotz allem ein Musikfilm, der mitreißen soll. „Wir machen keinen Film für Fans, sondern einen, der auch die erreicht, die den echten Gundermann nie gesehen haben.“
19 Songs des Rockpoeten haben Alexander Scheer und seine Film-Seilschaft zum Teil mit Unterstützung der echten Gundermann-Musiker neu eingespielt, ein Album mit Coverversionen soll zum Filmstart erscheinen. „Alles Lieblingslieder“, sagt Hartwig. Bei den Freilichtvorstellungen, die für den Sommer geplant sind, gibt es auch Live-Musik von Gundermann, der dank Scheer wiederauferstandenen Legende.
Die Lieder funktionieren immer noch, das haben sie beim Dreh gemerkt, wenn Leute, die zu Gundis Lebzeiten nicht mal geboren waren, begeistert mitsangen. „Bisher“, sagt Andreas Dresen, „sind auf die Songs auch die angesprungen, die vorher noch nie eine Ton von Gundi gehört hatten.“ (mz)
