Georg Heinrich von Berenhorst Georg Heinrich von Berenhorst: Die Lust, etwas zu sehen
Halle (Saale)/MZ. - Im Januar 1774 entschließt sich Georg Heinrich von Berenhorst (1733-1814), die Erlebnisse seiner Europareise zu Papier bringen. Die liegt zu diesem Zeitpunkt fast zehn Jahre zurück. Aus Notizbüchern und Briefen zieht der 40-Jährige das Gesehene, um es in eine lektüretaugliche Form für Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau zu bringen.
Denn es war der junge, von den Ideen der Aufklärung begeisterte Fürst, der Berenhorst seinerzeit gemeinsam mit dem Prinzen Hans Jürge und dem Baumeister Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff zu seinen engeren Begleitern für die "Grand Tour" erwählte, die ihn von 1765 bis 1768 nach Italien, Frankreich und zum zweiten Mal nach England führen sollte.
Im Blick auf das Dessauer Reformwerk eine Reise der nützlichen Belehrung und geselligen Unterhaltung. Wie eine kleine Firma rollten die Anhaltiner in zwei Reisewagen über Land: nicht allein mit einem Architekten im Trupp, sondern auch mit einem Bildhauer, Komponisten und Musiker im Anhang. Kultur-Spionage mit Niveau.
Berenhorst fiel die Betreuung des Fürsten-Bruders Hans Jürge zu, dessen Erzieher er einmal war. Und dessen Onkel er ist. Genauso wie der des Fürsten. Denn Berenhorst ist ein illegitimer Sohn des Alten Dessauers aus seiner Verbindung zu Eleonore Söldner. Nach "trübseliger Erziehung" brachte es dieser falsche Prinz 1760 zum Adjutanten Friedrichs II. Seine 1795 verfassten Friedrich-kritischen "Betrachtungen über die Kriegskunst" machten Epoche. Aber Berenhorst ist noch viel mehr als das: nämlich einer der geistreichsten Intellektuellen am Dessauer Hof.
Berenhorsts Witz und Lebenslust zeigen sich beispielhaft in dem Reisebericht, der nun erstmals in voller Länge an die Öffentlichkeit gelangt - nach einer in der Anhaltischen Landesbücherei in Dessau aufbewahrten, 1934 entstandenen maschinenschriftlichen Kopie des verlorenen Originals. Das Typoskript wurde von Antje und Christophe Losfeld aus dem Französischen ins Deutsche übertragen und kommentiert sowie gemeinsam mit Uwe Quilitzsch im Auftrag der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz in zwei Bänden herausgegeben: in deutscher und französischer Fassung. Ein Buch verschiedenster Fakten und Farben. Denn Berenhorst, der kluge Dessauer, bietet kein in flacher "Aufkläricht"-Manier belehrendes Traktat, sondern einen für die gesellige Lektüre notierten Report, der mit den Landschaften, Städten und Höfen auch die italienischen Damen und englischen Freudenmädchen genauestens in den Blick nimmt. Wer also meint, einen abhakbaren Katalog der in Dessau-Wörlitz verwirklichten politischen, industriellen und künstlerischen Impulse zu finden, wird hier nicht bedient. Weder wollte Berenhorst sich selbst noch seine Leser langweilen. "Wenn man schreibt, muss man versuchen, sein Publikum mit Themen zu unterhalten, die es amüsiert und dessen Neigungen entspricht." Sein Publikum: Das sind der Fürst und dessen Bruder. Und denen ist eben auch "von den verschiedenen Annehmlichkeiten des schönen Geschlechts " zu erzählen.
Neapel, Pompeji, Herculaneum und Rom, Paris und London liegen auf der Strecke. Der Reise-Alltag wird von Berenhorst nur gestriffen. "Wie wir es gewohnt waren, gingen wir uns die Fabriken und Handwerker anschauen." Oder in Rom: "Unsere zwei Fürsten kaufen abwechselnd Marmorplastiken und Gemälde und es ist schwer, etwas dagegen zu unternehmen, wenn man (kaum Geld) in der Tasche hat." Berenhorst ("ich Bedeutungsloser") kauft sich die Kopie einer Büste des Philosophen Diogenes.
Es ist eine junge Männergesellschaft, die da frei und fröhlich durch Europa rast, reist, jagt und tanzt. Der Fürst ist zu Tourbeginn 25, Hans Jürge 17, Berenhorst 32 Jahre alt. Franz ist von Rom ganz ergriffen: "Die Lust, etwas zu sehen und sich zu bilden", hält ihn auf Trab. Noch im Mondschein muss der Fürst das Kapitol sehen, in aller Frühe des ersten Tages zum Petersdom eilen. Belehrt von dem großen Altertumskundler Winckelmann, den Berenhorst in kraftvollen Zügen malt: "ein sehr feuriger Mensch, der nie ein längeres Gespräch führen kann, ohne lebhaft zu werden"; ein Mann "mit schroffen Manieren", die Augen "grau und lebhaft", "er hat Pockennarben und läuft schnell und hastig". Und die Dessauer laufen mit.
Sie besteigen den Vesuv, spazieren durch Herculaneum ("bei den Ausgrabungen wird wie im Bergbau vorgegangen"), genießen Genua, für Berenhorst "die schönste Stadt von Italien". Aber die Dessauer sind nicht Italien-, sondern England-süchtig; bis auf Erdmannsdorff, der "die ständige Leier mit den großen Worten Parlament, Ministerium, Freiheit" nicht mehr erträgt. Franz aber notiert: "Ich fühle mich so frei und glücklich wie die Insulaner." Und Berenhorst sagt es so: "Drei Dinge lassen meines Erachtens England im Auge der Ausländer glänzen: die Mädchen, die Pferde und die Fenster."
Nach zweieinhalb Jahren kehrt Berenhorst 1768 gemeinsam mit dem Prinzen Hans Jürge zurück nach Dessau. Bei Radegast zerfällt die Kutsche im Schlamm: "ein regelrechter Schiffbruch". Auf einem Bauernwagen holpern der Prinz und sein Onkel hin zum Schloss. Die Welt um 1800: Man übersteht Rom und Neapel, um in einer anhaltischen Pfütze zu versinken.
Buchpremiere: Sonntag, 15. Juli, 14 Uhr, Felseninsel Stein in Wörlitz Um Anmeldung wird gebeten: [email protected] Oder telefonisch: (03 40)6 46 15 44