Gemälde Gemälde: Madonna von Cranach kehrt nach Breslau zurück
Breslau (WrocBaw)/MZ. - Das polnische Wroclaw ist zum Weihnachtsfest in Hochstimmung gewesen: Am Heiligabend wurde durch einen Vertreter der Warschauer Regierung dem Erzbischof von Breslau, Marian Golebiewski, und dem Diözesanmuseum das im Jahre 1510 von Lucas Cranach dem Älteren in Wittenberg geschaffene, nach Kriegsende verschollene Bild "Madonna unter den Tannen" zurückgegeben.
Damit ist jedoch zugleich eine verworrene, ja beinahe kriminalistische Geschichte verbunden. Cranach malte das Marienbild im Auftrag des Bischofs von Breslau, Joannes V. Thurzo. Eine weitere Madonna von Cranach war für die Stiftskirche in Glogau bestimmt.
Beide Bilder erhielten ehrenvolle Plätze in den jeweiligen Kirchen, das Breslauer Bild im St. Johannes-Dom, wo es als Ziel von Wallfahrten Berühmtheit erlangte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkannte man den Wert des Gemäldes. Aus Sicherheitsgründen wurde es in der Schatzkammer des Doms und später in dem um die Wende zum 20. Jahrhundert errichteten Diözesanmuseum aufbewahrt.
Evakuierung der Kunstschätze
Das Kriegsjahr 1943 hatte bereits Vorzeichen für einen Frontverlauf in Richtung Ostgrenzen des Deutschen Reiches. Dem Befehl zu Evakuierung von Museumsgütern, Bibliotheken und Archivbeständen konnte und wollte sich auch die Diözesanbehörde nicht widersetzen. Die Madonna wurde in das Kloster Heinrichau gebracht, andere Schätze dagegen in die Umgebung von Glatz in der Nähe der Grenze zu Tschechien, dem damaligen "Reichsprotektorat".
Die evakuierten Museumsgüter überstanden das Kriegsende und den Einmarsch der Roten Armee mehr oder weniger unbeschädigt. Nicht so die Breslauer Madonna, deren Tafelbild von einem russischen Plünderer mutwillig zerbrochen wurde. Der dabei anwesende Geistliche bewahrte Haltung, um noch größeren Frevel und Ausschreitungen abzuwenden.
Das Glogauer Marienbild dagegen wurde von einem sowjetischen Offizier "sichergestellt", ja er ließ sich dazu herab, einen handschriftlichen Revers auszustellen, der heute Gegenstand von Verhandlungen zwischen Polen und Russlands Puschkin-Museum ist.
Jetzt eigentlich beginnt die Kriminalgeschichte zur Breslauer Madonna: Nach der Rückführung der Kunstgüter in das Museum verschaffte sich, so die Auskunft des Archivs des Bistums Görlitz, der kunstinteressierte Kaplan Siegfried Zimmer Zugang zum Marienbild. Zimmer war nach der Zerstörung seiner Pfarrkirche St. Bonifatius als Aushilfskraft des Archivs eingesetzt worden.
Die Bedeutung und der Wert des Bildes waren ihm klar: Unter dem Eindruck der Geschehnisse fasste er den fragwürdigen Entschluss, die Madonna vor "den Kommunisten zu retten" und sie als deutsches Kulturgut auf seine Weise sicher zu stellen. Das Original sollte durch eine Kopie ersetzt werden, womit ein junger Maler durch Zimmer beauftragt wurde.
Die Arbeit des Kopisten erfolgte angesichts der bevorstehenden Vertreibung der Deutschen in ziemlicher Hast, ja sie wurde nicht vollendet. Auf Grund eines gewissen Bleiberechts bis zum Jahre 1947 schickte sich Kaplan Zimmer an, das Bild malerisch zu "vollenden". Bei seiner Ausweisung aus Breslau in die sowjetische Zone tarnte Zimmer das Bild als Tablett und konnte damit die polnischen Kontrolleure von einer genaueren Revision ablenken.
Zimmer fand seine vorläufige Bleibe und Dienststellung als Geistlicher in Bernau. Im Jahre 1954 verlegte er jedoch seinen Wohnsitz in die Diözese München-Freising, wo er nach erfolgter Promotion als Religionslehrer in der Stadt Traunstein wirkte. Nach langen Jahren bezeugte der Kopist dem heutigen Direktor des Museums gegenüber, dass er das Madonnenbild in der Wohnung von Zimmer gesehen habe.
Andere Zeugen sagen aus, dass sich Zimmer, der 1979 gestorben ist, mit einem außergewöhnlichen Reichtum umgeben hatte. Gelang es Zimmer das Bild zu veräußern und einen riesenhaften Gewinn dabei zu erzielen? Wenn in den Äußerungen des heutigen polnischen Museumsdirektors eine gewisse Nachsicht zur Tatsache der Entführung des Bildes durch "einen deutsch fühlenden Patrioten" zu spüren ist, bleibt doch der Vorwurf des Diebstahls.
Den polnischen Museologen und dem polnischen (bischöflichen) Administrator blieb die Täuschung durch die in Wroc?aw verbliebene Kopie für lange Zeit verborgen. Der Prälat Karol Milik bewahrte und verehrte das "unechte Bild" in der Kapelle seiner Residenz; spätere Nachfolger im Amt übergaben die Madonna im guten Glauben an die Echtheit dem Diözesanmuseum zur Aufbewahrung.
Erst im Jahre 1961 entdeckte die Restauratorin Daniela Stankiewicz die Fälschung. Als Kennerin der Kunst Cranachs konnte sie an konkreten Details mehrere Abweichungen vom Original feststellen: Nicht zuletzt wurde für das Gemälde Holz von einem älteren Altarbild verwendet, dessen ursprüngliche Bebilderung übermalt wurde. Dies wäre nun zum Zeitpunkt des Entstehens des ursprünglichen Bildes aus katholischer und damit vorreformatorischer Sicht des beginnenden 16. Jahrhunderts ausgeschlossen gewesen. Mit der Expertise vom Jahre 1961 begann eine intensive Suche nach dem Verbleib des Originals durch Kunstsachverständige. Erste Signale zum damaligen Verbleib wurden jedoch von den konsularischen Vertretungen Polens ignoriert, allein schon mit der Absicht, die Rolle der katholischen Kirche nicht zu stärken und nach außen wirken zu lassen.
Postkarte aus Wroc?aw
Dem Autor liegt eine Postkarte aus den 80er Jahren mit dem Bildnis der Madonna vor. Die Rückseite trägt eine Anmerkung in Polnisch: "Madonna unter den Tannen - ein Bild von Lucas Cranach dem Älteren vom Jahre 1510. Bis 1943 befand es sich im Breslauer Dom. Während der Restaurierung im Jahre 1946 in den Westen gebracht, in der Schweiz sichergestellt, wartet (es) auf die Beendigung der Bemühungen zur Rückkehr in den Breslauer Dom. Herausgeber: Erzdiözesanmuseum Wroc?aw."
Spätere Gerüchte zum Standort des echten Bildes in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie die in diesem Zusammenhang geäußerte Kaufsumme im siebenstelligen Bereich ließen bis in jüngste Vergangenheit alle Hoffnungen auf einen Rückkauf fahren. Andere Interessenten schreckte der Ruf der "heißen Ware" vom Kauf ab. Durch glückliche Umstände begleitet, übergaben die letzten Erben das Bild an Polen zur Weitergabe an den Breslauer Dom. Aus "seelsorgerischen Gründen" - so die polnische Seite - wird über Namen und Modalitäten der Rückführung Stillschweigen gewahrt. Breslau aber hat sein wunderbares Madonnenbildnis wieder.