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Fürstin Luise Fürstin Luise: Der Mann, den ich über alles liebe

Von CHRISTIAN EGER 12.05.2010, 17:38

WÖRLITZ/MZ. - Also doch: Sie liebte und sie wurde geliebt. Und es war eine zumindest leidenschaftlich notierte, wenn auch am Ende glücklose Liebe, die Louise von Anhalt-Dessau (1750-1811) von Mitte der 1790er Jahre an durchlitt. Eine Affäre außerhalb der Standesschranken. Louise, die als geborene Prinzessin von Brandenburg-Schwedt eine preußische Königliche Hoheit war, hatte ihr Herz an den erst in Rom, dann in Berlin tätigen Kunsthistoriker Aloys Hirt (1759-1837) verloren, zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Kenner antiker Kunst nach Winckelmann.

Louise Henriette Wilhelmine von Dessau, die empfindsame Seele des berühmten Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, die als eine der geistvollsten deutschen Fürstinnen ihrer Zeit galt. Eine vielfach leidgeprüfte Frau: Ihre 1767 auf Weisung Friedrichs II. geschlossene Ehe mit dem Dessauer Fürsten Leopold III. Friedrich Franz (1740-1817) entpuppte sich als ein Fiasko. Eine heillose Verbindung fast von Anfang an, die 1786 in eine Trennung ohne Scheidung mündete. Aber auch in eine finanziell sanktionierte persönliche Freiheit.

Die erst jetzt aus den Geheimschriftpartien ihres Tagebuches entschlüsselte Affäre mit Hirt ist eine kleine Sensation, auch für die Kenner Louises. Deren Gestalt gewinnt mit den erstmals nun in großen Auszügen veröffentlichten Tagebüchern der Jahre 1795 bis 1811 wesentlich an Kontur. Nicht allein im Blick auf die Herzensdinge, sondern auch im Blick darauf, wie sich der Alltag einer regierenden Fürstin um 1800 gestaltete.

Von keiner zweiten Frau ihres politischen und geistigen Ranges sind so umfangreiche, in diesem Fall von 1756 an über mehr als 50 Jahre geführte Tagebücher überliefert, die am Dessauer Sitz des Landeshauptarchivs lagern. 2 844 Seiten insgesamt, von denen hier knapp mehr als die Hälfte veröffentlicht werden, im Auftrag der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz aus der Handschrift übertragen von dem in Münster tätigen Archivar Werner Frese, bearbeitet von den Stiftungsmitarbeitern Ingo Pfeifer, Uwe Quilitzsch und Kristina Schlansky. Eine kulturhistorische Quelle ersten Ranges - und das Zeugnis eines klug und unbedingt fühlenden Herzens. Aloys Hirt begegnet der Fürstin im November 1795 in Rom, wo der Kunstkenner dem deutschen Hochadel als Stadtführer dient. Louise begleitet er weit über Rom hinaus. In Wien, am zweiten August 1796, notiert die Fürstin ihr erstes Bekenntnis: "er, den ich über alles liebe, dem ich einzig angehöre - gegen den ich schwach bin, weil ich ihm nichts berge." Neunter August: "Ich legte mich zu ihm, da er mich gut anblikte. Er erwiderte diese Zärtlichkeit". Dann die ersten Szenen. Hirt: "Ich bin nicht mit mein Glük an einen Weibe gebunden und es verdriest mich jedesmal, wenn du sagst, ich sei sein alles und ohne mich seist verlohren". Am 23. August hält Hirt der Fürstin "eine perimtorische Predigt und eine Beschreibung von Liebe wie sie gar nicht ist". Louise schüttet ihr "Herz schriftlich an Matthisson auß", ihren Vorleser und Reisebegleiter, der ein Erfolgsdichter seiner Zeit ist. Am 28. Juni 1797 kommt es in Wörlitz zur großen Aussprache mit Hirt. Louise: "Meine Scheidung hielt er für unmöglich. Könnte er auch jetzt von Berlin weg sein, so könne er ja doch nicht mit mir hier sein - und das ich so trostlos und leidend wäre, kränke ihn darum, weil er denn müsse bereuen, das wir uns lieb gewonnen hätten."

Das Empfinden einer existenziellen Trostlosigkeit zieht sich durch das gesamte vorgelegte Tagebuch. In Varianten tritt diese Formel auf: "Mein Herz blutete". Die Fürstin leidet an der physisch erfahrenen Sinnlosigkeit ihres Alltags: "Dieser Stand der Nutzlosigkeit, Ohnmacht, Unthätigkeit ist für mich grausam. Und dabey denke ich immer, es sey meine Schuld". Das Verhältnis zum Fürsten ist kühl und korrekt, das zum Erbprinzen eine Katastrophe. Halt gibt der Fürstin allein Matthisson, der seinerseits aber ein "hipocondrisches" Naturell zeigt. Großartig und für die Forschung sprechend sind die Dokumentationen der ausgedehnten Reisen nach Italien, in die Schweiz und nach Süddeutschland. Erhellend sind die Blicke auf den Alltag am Hofe; es ist der Fürst, der Louise und Matthisson 1795 dem "Verdacht des Democratisieren und Jacobinischen" aussetzt.

Stets nimmt Louise auch den eigenen Körper in den Blick; verschlüsselt wird jeweils "die Periode" notiert. Mit beinahe ermüdender Genauigkeit notiert die Fürstin den Lauf der Tage und die Farben ihrer Seele, Reflexionen zur privaten Lage, nicht der Welt. Großes Material.

Die gemessen an ihren Aufgaben kleine, notorisch unterfinanzierte Kulturstiftung Dessau-Wörlitz zeigt mit der Edition der Tagebücher, was sie allein aus eigener Kraft zu leisten vermag; das ist viel. Selbstverständlich weiß man in Dessau, dass die auszugsweise Herausgabe der Tagebücher Wünsche offen lässt. Die Alternative aber wäre gewesen, die Sichtbarmachung des Materials noch länger und aufs Ungewisse hin in die Zukunft zu verschieben. Was man im Blick auf die Erforschung des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches vor Ort nicht selbst in die Hand nimmt, fasst sonst niemand an.

So bietet die zweibändige Ausgabe der Tagebücher eine Erläuterung der Quellen- und Forschungslage, ein ausführliches Lebensbild der Fürstin und ein Namens- und Ortsregister. Es fehlen aber in Fußnoten fortlaufende Erläuterungen zu Personen, Ereignissen, Lektüren; immerhin bis zu 14 Bücher las die Fürstin in nur einem Monat. Als eine Lese-Erschwernis erweist sich das Fehlen von Ortsmarken im Text. Aber wichtiger ist das: Diese Edition ist eine große und überfällige Tat, die ein Echo über die Fachwelt hinaus finden wird.

Es ist zu hoffen, dass die auszugsweise Edition die Forderung nach einer Veröffentlichung des kompletten Materials nicht zunichte macht. Und dass die Kulturstiftung Forschern auf Nachfrage die aus Mitteln des Bundeskulturministers finanzierten Transkriptionen zur Verfügung stellt.

Das veröffentlichte Tagebuch erwähnt Aloys Hirt im Februar 1809 zum letzten Mal. Da hat die Fürstin noch zweieinhalb Jahre zu leben, zurückgezogenen an ihren Reiseorten oder eingesponnen in ihr am Rand der Wörlitzer Anlagen errichtetes neugotisches Wohnhaus, das sie ihr "Closter" nennt.

Leider schreibt das Vorwort die Legende fort, dass Louise 1811 gestorben sei, "ohne dass ein Familienmitglied anwesend war". August Rode hatte am 23. Dezember 1811 in einem Brief an seine Tochter mitgeteilt, dass "bis gegen 7 Uhr Abends" der "Herzog und die Erbprinzessin an ihrem Sterbebette gewesen" waren; der Erbprinz lag "an der Gicht ganz darnieder". Ein Brief, der endet: "Alles, was Kopf und Herz hat, stirbt uns ab". Der Fürstin wird mit dieser verdienstvollen Edition der Tagebücher samt Kopf und Herz auch der Körper zurückgegeben - und ihrer Umgebung eine kenntliche Gestalt.

Schloss Luisium in Dessau: Sonntag, 14 Uhr, Spaziergang durch den Garten der Fürstin mit Zitaten aus ihren Tagebüchern. 15.30 Uhr: Imbiss und Buchverkauf.

Die originalen Tagebücher der Fürstin Louise Henriette Wilhelmine von Anhalt-Dessau. Auszüge aus den Jahren 1795 bis 1811. Bearbeitet von Ingo Pfeifer, Uwe Quilitzsch und Kristina Schlansky. 2 Bde., zus. 792 S., geb. im Schuber, mit s/w- und Farbabb. Subskriptionspreis bis 31.08.2010: 49,90 Euro, dann 59,90 Euro