Frühlingserwachen Frühlingserwachen: Dichter erleben Jahreszeiten immer wieder anders
Hamburg/dpa. - «Die linden Lüfte sind erwacht», dichtete Ludwig Uhland im 19.Jahrhundert. «Die Welt wird schöner mit jedem Tag». Sein ZeitgenosseEduard Mörike sah des Frühlings «blaues Band / Wieder flattern durchdie Lüfte». Hundert Jahre später nannte Hermann Hesse ein Gedicht«Voll Blüten» und schrieb darin: «Wie Blüten gehn Gedanken auf, /Hundert an jedem Tag». Und Ricarda Huch schloss Verse über ihrFrühlingserleben mit einer besonders anrührenden, traurigen Note:«Die Welt wird ein Blütenmeer, / Aber in meinem Herzen ist eineStelle, / Da blüht nichts mehr.»
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Lyrik in Form undInhalt deutlich gewandelt. Zwar sind die Natur und die Jahreszeitenweiterhin präsent, doch werden sie anders gesehen und empfunden alsin traditionellen Gedichten. Wie der Lyriker und LiteraturkritikerHarald Hartung (Berlin) einmal dazu sagte, scheint der Frühling mitseinen hoffnungsvollen Perspektiven den Dichtern besonders ferngerückt zu sein.
In den politisch so bewegten siebziger Jahren wurde in der Lyrikauch die Natur ein Politikum - Zeugnis der Verwüstung und derZerstörung von Lebensressourcen durch die Verwertungsmaschinerie vonIndustrie und Wirtschaft. Für die jungen Dichter waren dietraditionellen, stimmungsvoll Verbundenheit mit der Landschaftbesingenden Verse Kitsch und falsche Idylle. Damit war es jetztvorbei. Bei Heinz Czechowski heißt es 1977: «Zu beiden Seiten desFlusses / Nehmen Autokolonnen / Mit tödlichem Blei / Das Grün unterBeschuss.»
Doch blieb diese ideologische Naturlyrik eine vorübergehende Mode.Natur und Jahreszeiten wurden auch wieder anders interessant. «DieseLyrik unterscheidet von der traditionellen Skepsis gegenüberAbstraktion und Verallgemeinerung», sagte dazu derLiteraturwissenschaftler Heinrich Detering (Universität Göttingen)der dpa. Es gebe kein «Frühlingsgedicht» mehr, es wird nicht «der»Frühling besungen. «Der Frühling ist Gegenstand in einem konkretenund distanziert geschilderten Zusammenhang.»
Da ist etwa bei Sarah Kirsch nuanciert von einer spätwinterlichenSonne die Rede, die «bedächtig / Und eingeschrumpft im immerwährendenNebel / Hinfällig doch früher den Gang in den Äther wagt / EineDorfausgabe eine einfache nützliche / Sonne von der man noch hörenwird.»
Detering nannte unter den neueren profilierten Lyrikern, für dieauch die Natur wieder Gegegenstand ist, den kürzlich gestorbenenThomas Kling mit seiner Sammlung «Auswertung der Flugdaten» undMarcel Beyer mit die Landschaft als historischen Schauplatzwahrnehmenden Gedichten.
Die Bedeutung von Lyrik kann nicht nach ihrem Bekanntheitsgradeingeschätzt werden. Wie der Lyriker und Literaturkritiker Peter Hamm(Tutzing) dazu der dpa sagte, sind Gedichte immer nur von einerMinderheit gelesen worden. Später viel zitierte Gedichte wie die vonMörike oder auch Johann Wolfgang Goethes «West-östlicher Divan»hatten winzige Auflagen. Eine hohe Auflage hatte im 19. Jahrhundertnur Heinrich Heines «Buch der Lieder».
Die meistgelesenen Gedichte sind erst nach und nach und meistdurch Anthologien bekannt geworden. Und es erscheinen immer wiederneue. 2003 erschienen ein Band «Die Poesie der Jahreszeiten» und dieNaturlyrik-Anthologien «Der magische Weg» und «Schläft ein Lied inallen Dingen». Ebenfalls im Reclam Verlag (Ditzingen) liegen vor«Deutsche Naturlyrik vom Barock bis zur Gegenwart» und Anthologienvon Frühlings- und Sommergedichten. Im Schmidt-Hermann Verlag (Mainz)erschien der Herbstlyrikband «Der Sommer war sehr groß».