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Fröhlicher Hypochonder Fröhlicher Hypochonder: Reinhard Straube erzählt wie er mit 70 Jahren die Welt sieht

Von Kai Agthe 02.09.2016, 07:00
Reinhard Straube an einem seiner Lieblingsplätze: Die Saale an der Peißnitz in Halle
Reinhard Straube an einem seiner Lieblingsplätze: Die Saale an der Peißnitz in Halle Günter Bauer

Halle (Saale) - Er gilt als fröhlicher Hypochonder – auf der Bühne und auch im wahren Leben. Die Rede ist von Reinhard Straube, der seit sagenhaften 45 Jahren eine Institution in Halles Theaterleben ist. Im Juni feierte der in der Saalestadt beliebte Schauspieler seinen 70. Geburtstag. Ein doppeltes Jubiläum, das die halleschen Autoren Bettina Schirmer und Kurt Wünsch zum Anlass nahmen, die Gespräche, die sie seit Ende 2014 in loser Folge mit dem Mimen führten, unter dem beredten Titel „Reinhard Straube – Ein fröhlicher Hypochonder mit neuen Leiden“ in Buchform erscheinen zu lassen.

Die Überschrift nimmt Bezug auf einen komödiantischer Dauerbrenner, den Straube noch immer im Repertoire hat und der im September zum 100. Mal zu erleben ist: „Der fröhliche Hypochonder“. Hier ist der Name wirklich Programm. Denn er spielt nicht nur den eingebildeten Kranken, sondern lebt diese Rolle auch. Das bescheinigt sich Straube nicht nur selbst, das attestiert ihm auch Simone Heinemann-Meerz, eine von Straubes behandelnden Medizinern, die, wie so manch andere hallesche Persönlichkeit im vorliegenden Band auch, ihre Gedanken zur Person Reinhard Straube aufgeschrieben hat: „Also, er ist auch im wirklichen Leben ein Hypochonder und hat insofern völlig recht, weil gilt: Wer gesund ist, ist nur nicht richtig untersucht“, so die Fachärztin für Innere Medizin.

Publikumsliebling als Edgar W.

Die „neuen Leiden“, die ebenfalls im Titel anklingen, verweisen auf jene Rolle, mit der sich Straube, kaum dass er die Berliner Schauspielschule absolviert hatte und am „Theater des Friedens“ in Halle engagiert wurde, in die Herzen des Publikums spielte: 1972 gab er den renitenten Edgar Wibeau in Ulrich Plenzdorfs Jugenddrama „Die neuen Leiden des jungen W.“, das, so sieht es Reinhard Straube selbst, in der DDR eine Bühnenrevolution gewesen ist, mit der er Theatergeschichte geschrieben hat. Das Stück war Anfang der 1970er Jahre das, was auf heutigen Bühnen Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ ist. Mit dem Unterschied freilich, dass das Plenzdorf-Stück damals nur in Halle zur Aufführung kam. Denn dass die Bluejeans kein Kleidungsstück, sondern eine Weltanschauung sei, wie Edgar Wibeau verkündet, ging den politisch Mächtigen, die Jeans für westlich-dekadent hielten, zu weit.

Die letzte Station seines Angestellten-Daseins

Von 1970 bis 1982 Ensemblemitglied an Halles „Theater des Friedens“, dem heutigen Opernhaus, wechselte Straube an das Neue Theater von Peter Sodann. Es blieb bis zu seiner Pensionierung 2011 die zweite und auch schon letzte Station seines Angestellten-Daseins. Von Goethes „Faust 1“ über Gorkis „Nachtasyl“ bis zu Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ hat Reinhard Straube in Halle in vielen Stücken mitgewirkt, die zum gut sortierten Programm eines Stadttheaters gehören.

Im Gegensatz zu vielen Kollegen empfinde er aber keine Freude vor der Kamera, auch wenn er in diversen Fernsehfilmen, drei „Tatort“- und vier „Polizeiruf“-Folgen mitgewirkt habe: „Für mich war das immer alles desillusionierend.“

Auch sonst hält er nicht hinterm Berg: Peter Sodann? „Schreibt, dass eine Straße in Halle Sodann-Allee heißen muss.“ Der aktuelle NT-Intendant? „Matthias Brenner ist für mein Empfinden zuerst einmal ein sehr guter Schauspieler. Und er hat die Säle wieder gefüllt.“ Die Kollegen am Theater? „Die sind heute auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren.“ Welche Meinung hat er von einzelnen Kollegen? „Wollt ihr, dass ich ermordet werde?“ Die Medien? „Manchmal hat man den Eindruck, der Journalismus ist zu einer Art Hofberichterstattung verkommen.“ Das TV-Programm? „Für die werktätige Bevölkerung strahlen die Sender ab 20 Uhr aus, was sie hören und glauben soll.“ Die Stasi? „Mir hat sie nichts getan, und vielen Kollegen auch nicht.“ Straube als politischer Mensch? „Ich bin kein Held und kein Freiheitskämpfer.“

Und da ist Horst Sindermann

Milde blickt Reinhard Straube auf Horst Sindermann (1915-1990), der von 1963 bis 1971 erster SED-Sekretär im Bezirk Halle war, ehe er in das Politbüro nach Berlin wechselte. Wenn es der Bezirksfürst einrichten konnte, saß er bei jeder Premiere im Theater, erinnert sich Straube. „Und oft hat er uns danach in sein Wohnhaus am Rive-Ufer eingeladen.“ Es sei auch Sindermann gewesen, der sowohl die Idee für das Fernsehtheater in der Moritzburg– wo Reinhard Straube in mehr als 20 Produktionen mitwirkte – als auch für die „Burgparty“ genannten Unterhaltungsshows, die das DDR-Fernsehen wiederholt aus Halle übertrug, gehabt haben soll. Letztere boten für den Schauspieler unter anderem Gelegenheit, um mit Westgästen wie Amanda Lear zu tanzen und mit Roy Black Wein zu trinken.

Dass der lockere Gesprächscharakter beibehalten wurde, könnte manchen Leser stören. Besonders dann, wenn man mit den Persönlich- und Örtlichkeiten nicht so vertraut ist wie die Autoren, deren Porträt oft zu privat gerät („Wir sitzen noch immer bei Annettchen im Garten.“). Und die Geschichte, wie Reinhard Straube und sein Kollege Hilmar Eichhorn bei einer Inszenierung von Regisseur Herbert Fritsch am Neuen Theater die Arbeit verweigerten, wird aus lauter Freude gleich zweimal mitgeteilt.

Bettina Schirmer/Kurt Wünsch: „Reinhard Straube – Ein fröhlicher Hypochonder mit neuen Leiden“, Mitteldeutscher Verlag, 191 S., 19,95 Euro

Die Buchpremiere findet am 8. September um 20.15 Uhr in der Thalia-Buchhandlung Halle statt. (mz)

In „Die neuen Leiden des jungen W.“ spielte Straube 1972 Wibeau.
In „Die neuen Leiden des jungen W.“ spielte Straube 1972 Wibeau.
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