Fritz Rudolf Fries Fritz Rudolf Fries: Halbspanier mit Sehnsucht nach dem Bilbao-Mond
Halle/MZ. - Alsbald fehlen dem Gastgeber die Worte. Fries notiert: "Hermlin schweigt mich an und betrachtet die Einrichtung seiner Wohnung, das abgenutzte Mobiliar, die Bücher aus den Anfängen des Jahrhunderts (...). Die Bücher eines Schriftstellers gelten nichts ohne die integre Moral seines Lebens? Eine ungelöste Frage. Stellte man sie auf den Kopf, müsste man die schlechten Bücher, etwa die späten Romane einer Anna Seghers, preisen, nur weil ihr Autor die Ideale seiner Jugend nie verraten hat."
Hermlins Schweigen hatte gute Gründe, das Interesse von Fries auch, der diese Szene in seiner lesenswerten Autobiografie "Diogenes auf der Parkbank" überliefert hat. 1996 kam ans Licht, dass Fries - der sich selbst stets als clownesker Außenseiter präsentierte - von 1976 an ein Stasi-Zuträger gewesen ist; seitdem sieht er sich nur noch als ein "Fall" begriffen.
Das ist nur zum Teil berechtigt. Fries hat vor 1989 nie eine breite, aber doch ausgesuchte Leserschaft besessen, und dabei ist es geblieben. Auch seine Spitzel-Tätigkeit ist mit großem und kollegialen Entgegenkommen verhandelt worden. Dass dieses Erörtern für Fries nicht angenehm gewesen ist, liegt ja nicht an der Debatte. Auch nicht, dass Fries - siehe Celine - viel genauer im Fragen als im Antworten ist. Im Gegenteil: Das Ineinanderspiel von Fülle und Leere, von Geplauder und Schweigen gehört zur Poetik dieses Autors, der als Sohn eines Deutschen und einer Spanierin 1935 in Bilbao geboren wurde, von 1942 an in Leipzig aufwuchs, Romanistik studierte und seit 1966 in Petershagen bei Berlin lebt.
Immer Oobliadooh
Es ist stets Jazz in Prosa, was Fries liefert: Freiheit, Vielfalt, Eigensinn. 1966 der bis '89 nur im Westen verlegte Roman "Der Weg nach Oobliadooh": Gegenbuch zu Kants "Aula", das junge DDR-Intellektuelle zeigt, die Jazz hören, saufen, debattieren. Dann die Romane "Alexanders neue Welten" und "Verlegung eines mittleren Reiches". 1999 "Der Roncalli-Effekt", der das Nach-89er-Leben eines DDR-Staatszirkus-Clowns zeigt. Außenseitertum, das seine Pfauenräder schlägt, ist ein Thema des Fritz Rudolf Fries.
Stasi-Zuarbeit ist das Gegenteil von Außenseitertum gewesen, was Fries ja weiß, und auch, was all das mit ihm selbst zu tun hat, dem Halbspanier in Halbdeutschland mit seiner Sehnsucht nach Bilbao. "Schreiben", heißt es im "Roncalli"-Buch, "ist die Flucht nach einem Verrat im Leben, ist die Befreiung von den anderen, die bekanntlich die Hölle sind. Was dabei herauskommt, ist vielleicht eine Begegnung mit mir selber. Und die Wette gilt, ob am Ende ich mich in diesen Papieren erkenne oder Sie mich." Auf Fries gemünzt, ist Letzteres der Fall, und - auch wenn uns manches Spanisch vorkommt - ein Vergnügen. Heute wird der Brandenburger Bilbao-Mann 70 Jahre alt.