Friedrich Schorlemmer wird 70 Friedrich Schorlemmer wird 70: Ewig streitbarer Gottesmann

Halle (Saale)/MZ - Mit 70 Jahren ist man heute noch nicht auf dem Altenteil, der Jubilar, von dem hier die Rede ist, sowieso nicht. Zwar nahm er 2007 seinen Hut in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, der er seit 1992 als Studienleiter gedient hatte, und ging in den Ruhestand. Aber mit diesem Schnitt war Friedrich Schorlemmers tätiges Leben ja nicht beendet, der Publizist, Buchautor und Dreinredner hat sich weiter zur Sache gemeldet - unbeirrt und unüberhörbar.
Der überaus belesene Gottesmann liebt den wortgewaltigen Auftritt, er hat ein Händchen für die Inszenierung und schreckt, wo er das für geboten hält, auch vor Polemik nicht zurück. Da fühlt er sich dem großen Martin Luther, in dessen Stadt er lebt, ganz nah. Manchmal ist ihm freilich auch ein gewisser Hang zur Eitelkeit bescheinigt worden, eine Eigenschaft, vor der auch ein Theologe nicht gefeit ist.
Ein Mann offener Worte
Aber Schorlemmer ist als politischer Streiter fraglos eine herausragende Figur, entsprechend hell und einstimmig klingt nun der Gratulantenchor. SPD-Chef Sigmar Gabriel beschreibt seinen Genossen als ein Vorbild. Mit Mut und Entschlossenheit habe sich Schorlemmer für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit eingesetzt. Und Ilse Junkermann, als Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland quasi Schorlemmers Chefin, lobt ihn als „wortgewaltigen Einmischer und Mahner“. Das wird er sicher gern gelesen haben. Ohnehin ist er der Meinung, dass man sich bei der ernsthaften Suche nach der Wahrheit herzhaft die Meinung sagen darf, wie er es auf einem Berliner Podium mit der Luther-Botschafterin Margot Käßmann und dem früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse über die Frage, was Reformation heute bedeutet, formuliert hat.
„Wer lauwarm ist, mit dem kann man weder leben noch streiten“, rief Schorlemmer in die Runde und legte die Latte damit hoch. Er selber ist immer dabei, wenn es um klare Worte geht, ob er sie stets ebenso gern entgegengenommen hat, steht dahin. Immerhin, sein Aktenstreit, den er seinerzeit mit Joachim Gauck führte, dem damaligen Chef der Stasiunterlagen-Behörde und heutigen Bundespräsidenten, ist tatsächlich eine Lehrstunde in Sachen Demokratie-Verständnis gewesen.
Ewiger Streit mit Joachim Gauck
Die Akten, die ganze erbärmliche Spitzelprosa, gehörten ins Feuer geworfen, weil sie Unfrieden über das Land und unter die Menschen brächten, hatte Schorlemmer ausgerufen - in jenem hohen Ton, den er oft anschlägt, um verstanden zu werden. Die Diskussion kam prompt zustande, auch in Wittenberg bei einer der von Schorlemmer hervorragend organisierten Akademie-Tagungen ist sie geführt worden: Mann gegen Mann, Wort gegen Wort. Gauck, Pastor wie Schorlemmer und ebenso engagiert in Sachen Freiheit, war in dieser Angelegenheit zu ganz anderen Schlüssen gekommen. Für ihn, mit dessen Namen die Akten-Behörde auch unter der Leitung seiner Nachfolger verbunden wird, stand das Wissen um die schlimmen Dinge vor der Versöhnung, Schorlemmer fürchtete Zwietracht. Es war eine scharfe Debatte, beide haben sich nichts geschenkt. Und es war allem Anschein nach nicht das, was man den Beginn einer wunderbaren Freundschaft nennen könnte. Wohl auch, weil sich die beiden weder in ihrem Ehrgeiz noch in Punkto Sendungsbewusstsein aus dem Wege gingen.
Gleichwohl sind es Momente wie diese, die über das Handeln eines Menschen hinausweisen. Selbst, wenn der ewige Bürgerrechtler Schorlemmer den symbolischen Hammer wider die als allzu modern empfundene Architektur in Wittenberg schwingt, sind seine flammenden Einlassungen allemal anregend - auch wenn sie zum klaren Widerspruch herausfordern.
Schorlemmer, 1944 in Wittenberge geboren und im Pfarrhaus von Werben in der Altmark aufgewachsen, hat die Tugend des Einspruchs frühzeitig geübt. Das Abitur konnte der Wehrdienstverweigerer an der DDR-Volkshochschule doch noch erwerben. Sein Bekenntnis zum Frieden war eindeutig, die symbolträchtige Schmiede-Aktion, die Schorlemmer und Wittenberger Freunde 1983 veranstalteten, ist berühmt geworden: Schwerter zu Pflugscharen, so sollte es sein.
„Freiheit kann man sich nicht geben lassen, die muss man sich nehmen“, hat Schorlemmer vor zwei Jahren der Mitteldeutschen Zeitung gesagt. Anlass war das Erscheinen seines politischen Memoiren-Bandes „Klar sehen und doch hoffen“ im Aufbau-Verlag. Gleichwohl meint er, dass nichts schlimmer sei, als Tag und Nacht die Welt verändern zu wollen. „Man muss am Abend auch sein Bier trinken“, hat Schorlemmer launig gesagt. Da ist er wieder ganz nah bei seinem Luther.