Friedrich Leopold zu Stolberg Friedrich Leopold zu Stolberg: «Von Natur ist von Gottes Gnaden»
HALBERSTADT/MZ. - Er war einst berühmt und ist heute berüchtigt. Berühmt als ein jungliterarischer Stürmer und Dränger. Oft genannt als studentisches Mitglied des Göttinger Hainbundes, eines 1772 im Zeichen der Freiheit gegründeten Dichterbundes. Einer vaterländischen Freiheit, die ein von fremden Regeln entfesseltes Natur-, Gefühls- und Kunsterleben feierte.
In dieser vorromantischen Gruppe '72 gehörte Friedrich Leopold Graf zu Stolberg (1750-1819) zu den bekanntesten Akteuren. Sogar "außerordentlich berühmt" sei er gewesen, schreibt Heinrich Heine in seiner Literaturgeschichte "Die Romantische Schule". Berühmt, warum? "Vielleicht minder durch seine poetischen Talente", meint Heine, "als durch den Grafentitel, der damals in der deutschen Literatur viel mehr galt als jetzt."
Von dieser Berühmtheit ist wenig geblieben - und wenn, dann ist es herabgesunken auf die Fußnoten-Ebene der Literaturwissenschaft. Geblieben ist anderes: Die Tatsache, dass Stolberg, der sein Brotgeld als dänischer Spitzenbeamter verdienen musste, am 1. Juni 1800 in der Hauskapelle der Fürstin Gallitzin in Münster vom protestantischen zum katholischen Glauben übertrat. Eine Tat, die den aufgeklärt-protestantischen Norden als Schock heimsuchte. Fortan war der Berühmte berüchtigt.
Denn Glaubens- waren Lebensfragen, die den ganzen Menschen sowie dessen ganze Existenz betrafen. Alles stand und fiel mit dem Bekenntnis. So sehr, dass Heine meinte, dass Stolberg mit seiner Konversion "Vernunft und Freiheitsliebe abschwor". Literarische Freunde wie der in Halberstadt ansässige Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) hielten Stolbergs Schritt schlicht für ein Zeichen des Wahnsinns. Dabei blieb es. In der DDR wurde der vormalige Stürmer und Dränger als "frömmelnder Reaktionär", in Westdeutschland als "Antiquar" und "alter Betbruder" verhöhnt.
Stolberg wanderte aus den Zuständigkeiten der Literatur- in die der Kulturgeschichte ab - und gewann damit doch noch mehr an Reiz. Denn selbstverständlich war ihm von seinen Kritikern auch viel Unrecht widerfahren. Und das bis heute. Frei nach Lessing: Wer wird nicht einen Stolberg tadeln? Doch wird ihn jeder verstehen wollen? Insofern ist die im Halberstädter Gleimhaus unter dem Titel "Standesherr wider den Zeitgeist" präsentierte Schau ein Ereignis. Auch deshalb, weil es keinen äußeren Anlass für eine Ausstellung gibt.
Bis auf diesen, dass 2006 und 2007 zwei wichtige Stolberg-Sammlungen an die Landesbibliothek im ostholsteinischen Eutin gegangen sind, die in einer Auswahl nun in Halberstadt besichtig werden können: Briefe, Gemälde und Bücher bis hin zu einer Haarlocke, die dem Toten abgeschnitten wurde. Gegen den "Zeitgeist": Das meint zunächst das, was der späte Stolberg darunter verstand - den Ungeist einer rationalistischen, tendenziell aller Metaphysik und Spiritualität abgeneigten Aufklärung. Es meint aber auch, was den jungen Stolberg zu den Hainbündlern trieb: die Abkehr von einem Geist der Verherrlichung des kleindespotischen Absolutismus.
Denn für die Freiheit von Fürstenwillkür stritt auch Stolberg. Und deshalb verstanden ihn 1800 seine Freunde nicht mehr, allen voran der große, sozusagen linksliberale Dichter Johann Heinrich Voss (1751-1829), Enkel eines freigelassenen Leibeigenen, der 1819 die Schrift in die Welt setzte: "Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?"
Aber wie ward Stolberg eigentlich um 1770 ein Mann der Freiheit? Und was hat diese Freiheit mit der Konversion des Jahres 1800 zu tun? Auf diese Fragen bietet die Schau plausible Antworten. Diese führen auf die standesherrliche Herkunft zurück: Stolberg - im dänischen Holstein als Sohn eines vergleichsweise mittellosen Zweiges jener Familie geboren, der das Schloss Wernigerode gehörte - war ein reichsunmittelbarer Graf, also keinem Landesherren, sondern allein dem Kaiser unterstellt. Aus dieser Tatsache speiste sich Stolbergs früher Antiabsolutismus, der kein prinzipieller, sondern ein taktischer war. Stolberg konnte gegen die Fürstenwillkür wettern, weil er die eigene aristokratische Herkunft als hochwertiger begriff.
Wie sehr das Freiheits- mit dem Standesbewusstsein ineinanderging, zeigt in der Ausstellung ein erhellender Brief Leopolds an seinen Bruder Christian vom Oktober 1770: "Ey for shame was sagst Du von unserem 900jährigen Adel? Waren denn nicht vor 1 000 Jahren unsre Väter Beherrscher von Sachsen? Hör das ist vor kein Gold zu geben, daß alter Adel Gottes Werck ist, nicht durch Menschenwillen, uns hat weder König geadelt, noch Pabst, noch Kaiser, sondern weil unsre Väter starck waren u. tapfer herrschten sie von Natur. Von Natur das ist das wahre Von Gottes Gnaden." Von dieser Tendenz hat Stolberg nie abgelassen, der ein in die bürgerliche Lebenswelt herabgesunkener Alt-Adeliger war. Sein Übertritt zum Katholizismus erscheint da psychosozial als folgerichtig. Zumal man in diesem Schritt auch ein Beharren auf Toleranz und Gewissensfreiheit sehen kann, ja muss. Und es ist dieser Gang, der Stolberg interessant macht, weniger seine in der Schau vorgestellten Gedichte wie "An die Natur" oder "Auf dem Wasser zu singen" ("Mitten im Schimmer der spiegelnden Wellen / Gleitet wie Schwäne der schwankende Kahn").
Die Ausstellung zeigt auch das Nachleben des Dichters zu Lebzeiten, der nach seiner Konversion den Norden in Richtung katholisches Westfalen verließ. Dort verfasste er eine 15-bändige "Geschichte der Religion Jesu Christi", die theologisch belanglos ist: Stolberg war ein autodidaktischer Laie. Seinem gut geschulten Freund Voss muss der Reichsgraf in den Glaubensdisputen stets unterlegen gewesen sein. Aber in Glaubensdingen zählt eine Vernunft zweiter Ordnung. Die Debatte um Stolbergs Konversion einmal zusammenfassend abzubilden, das wäre eine herausgeberische Tat. Zumal in einer Gegenwart, die nicht allein im Feuilleton aufs Neue den Reizen des alten Kultes hinterherspürt.
Gleimhaus, Halberstadt: bis 19. August. Di-Fr 17, Sa-So 10-16 Uhr. Katalog mit zahlreichen Aufsätzen: 160 Seiten, 18 Euro