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Freie Bühnen in Sachsen-Anhalt Freie Bühnen in Sachsen-Anhalt: Kunst lockt als Köder auf die Insel

Von Andreas Hillger 19.07.2004, 16:38

Magdeburg/MZ. - Die Ameisen haben es gut. Unbeirrt und emsig ziehen sie ihre Straße zum Portal der Zuckschwerdtschen Villa, ohne sich von Schloss und Riegel aufhalten zu lassen. Wer dort aber als Zuschauer Eintritt begehrt, sollte neben Geld vor allem Geduld mitbringen: Alle 35 Vorstellungen der "Flussbettleroper" an der Elbe sind ausverkauft, die Warteliste verzeichnet rund 400 Anwärter auf eventuell zurückgegebene Karten.

Es ist ein kleines Theater-Wunder, das Ines Lacroix und Matthias Engel auf der Werder-Insel in Magdeburg geschaffen haben. Eigentlich wollten sie nur einen Sommer in den maroden Mauern spielen, die ihnen von den Eigentümern als Ruine vermietet worden waren. Doch nachdem das "Gespenst von Canterville" im Juli 2001 seine erfolgreiche Premiere gefeiert hatte, erzwangen die Publikums-Nachfragen eine Entscheidung: Das Theater an der Angel, das bis dato an wechselnden Orten vom Straßenbahnwagen bis zur Fabrikhalle gespielt hatte, wurde sesshaft.

Seither ist mit wenig Geld viel erreicht worden - auch weil die beiden Schauspieler im Architekten Axel Thomas Rüther einen erfindungsreichen und unermüdlichen Helfer fanden. 17 Container Schutt wurden aus der "Rattenburg" entfernt, die alte Heizung aus der Pauluskirche bekam einen neuen Platz und der Klempner wurde mit Eintrittskarten bezahlt. Wer das Haus heute durchstreift, findet sich in einem Gesamtkunstwerk zwischen Bibliothek und Billardsalon, Küche und Büro - eine echte Kulturinsel, deren Auf- und Ausbau mit den eigenen Händen keine Legende ist.

Selbstausbeutung heißt denn auch das Prinzip, mit dem die beiden künstlerischen Leiter ihrer Berufung nachgehen: Fördermittel beantragt man lediglich projektbezogen und für das aufwändige Sommertheater, das mit einem großen Ensemble und mit prominenten Gästen wie dem Regisseur Andreas Kriegenburg ("Kleinbürgerhochzeit" 2003) bestritten wird. Ansonsten sind Lacroix und Engel seit dem Ende ihres gemeinsamen Engagements am Magdeburger Puppentheater 2000 im wahrsten Sinne des Wortes frei - mit allen positiven und negativen Konsequenzen.

Dass sie in ihrer Villa dennoch kein "Kopfschmerztheater" veranstalten, ist erklärtes Prinzip. Karl Valentin steht ebenso auf dem Programm wie Anton Tschechow oder Michail Sostschenko, E. T. A. Hoffmanns "Nussknacker" teilt sich die Aufmerksamkeit mit Miss Sophies legendärer Geburtstagsparty "Dinner for One". Und der Erfolg gibt ihnen Recht: Die Auslastung liegt bei mehr als 90 Prozent, der Mietvertrag sichert den Spielern ihr Domizil vorerst bis zum Jahr 2006.

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass die Theater-Angler fest in der Geschichte des Ortes verwurzelt sind. Im Gespräch erzählt Matthias Engel nicht nur vom Privatbankier Zuckschwerdt, der in der Nazi-Zeit verfolgten Juden half und nach dem Zweiten Weltkrieg in den Konkurs getrieben wurde. Er weiß auch von jenen literarisch-musikalischen Mittwochsgesellschaften zu berichten, die im 18. Jahrhundert auf der Insel zusammenkamen - und die Künstler wie die Dichter Gleim und Klopstock oder den Komponisten Rolle zu ihren Gästen zählten.

Solche Ikonen der Vergangenheit geistern immer wieder durch die Stücke - und mischen sich mit der Gegenwart zu einer verführerischen Melange. Kein Wunder, dass der Angler auf dem Dach hier reiche Beute macht. Immerhin wirft er die Kunst als seinen Köder aus.

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0391 / 555 6 555