Franzenbad Franzenbad: Böhmische Sommerreise des "Winterreise"-Dichters

frantiskovy lazne/MZ - Er habe, schreibt Wilhelm Müller (1794-1827), „eine so glückliche Reisenatur“, dass er, „sobald ich im Wagen sitze und die Unterstadt hinter mir habe, gleich frank und frei bin wie ein junger Bursche.“ Als ein solcher fühlt sich der 31-Jährige, als er im Juli 1826 dieses Bekenntnis seiner Frau Adelheid in Dessau mitteilt. Der Dichter der „Winterreise“ und der „Griechenlieder“ ist zur Kur ins Böhmische unterwegs. Nach Franzensbad, ins heute tschechische Frantiskovy Lazne, in dem sich der rege Publizist und herzoglich dessauische Hofbibliothekar von den Folgen eines schweren Keuchhustens erholen will.
Das gelingt, denn Müllers glückliches Naturell hat nichts mehr „auf“, sondern nur noch „im Herzen“, wie er schreibt, kaum, dass er die Heimat verlässt. Das fällt ihm um so leichter, als er in Begleitung eines buchstäblich gut betuchten Freundes reist, des 26-jährigen Barons und Kammerherrn von Simolin. In „großen weißgefütterten Mänteln“ ziehen die Männer die Blicke auf sich. Müller genießt es, über seine Verhältnisse zu leben. Zumal das Interesse im politisch repressiven Österreich, zu dem Franzensbad seinerzeit gehört, an dem freimütig politischen Dichter groß ist. „Die Griechenlieder sind selbst bis tief in Österreich bekannt“, schreibt Müller nach Dessau, „und ich werde daher hier oft mit großen Augen angesehn.“
Der böhmische Sommer 1826 ist eine gute Zeit für den Dichter: Man muss nur die 13 Gedichte lesen, die im Juli und August in Franzensbad entstanden sind. Leichtfüßige Verse über Landschaft, Liebe, Liasons - Liebeleien, die nach Dessau als harmlos geschildert werden, in den Versen aber muntere Wirkung entfalten. Das Gedicht „Auf einen Zettel in der Badestube“ ist so ein Kunstwerk, in dem ein der Angestaunten zugesteckter Zettel in deren Badezimmer sehen soll, was dem Verehrer unsichtbar ist: „Und sieh, was ich nicht denken kann, mit unverwandten Blicken an.“
Die „Lieder aus Franzensbad bei Eger“ bilden eine eigene kleine Gruppe in der 1994 von der Literaturwissenschaftlerin Maria-Verena Leistner herausgegebenen fünfbändigen Müller-Werkausgabe. Jetzt hat die Leipzigerin gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kollegen und Schriftsteller Bernd Leistner, das Band zu Müller noch einmal enger geknüpft - dem einzigen Weltliteraten, den Anhalt zu bieten hat. Die Leistners ließen auf eigene Kosten das im Oberen Kurpark von Franzensbad stehende Wilhelm-Müller-Denkmal erneuern.
Ein alter Stein: 1910 war die von dem Bildhauer Adolf Mayerl gestaltete und von „Franzensbader deutschvölkischen Hochschülern“ gesetzte Anlage eingeweiht worden, die ein Porträtrelief von Müller zeigt. Den hatte man auf nationalistisch trimmen wollen, fand aber nicht mehr als die Zeile: „Es ist das kleinste Vaterland der größten Liebe nicht zu klein“. Trotzdem: Nach 1945 ging die neue Herrschaft auf Nummer sicher, entfernte die deutsche Inschrift, und den Namen des Dichters gleich mit. Der fortan anonyme Stein verwitterte, wurde aber nicht vergessen. Seit Pfingsten leuchtet er wieder: gereinigt, aufgehellt, mit Namenszug und neuer Inschrift, die auf Tschechisch und Deutsch auf Müllers Sommerreise verweist.