Fotos von DDR-Grenzsoldaten Fotos von DDR-Grenzsoldaten: Berliner Mauer aus anderer Sicht

Berlin - Für 148 Schüsse auf einen Flüchtling gab es eine Beförderung und eine Armbanduhr als „Sachprämie“. Die Hunde im Todesstreifen trugen Namen wie „Arras von der Wasserstraße“ und „Quinte von der Teufelswand“ und einer ihrer Herrchen hatte laut Personalakte „starke sadistische Neigungen“. Notizen und Aktenvermerke aus der lange geheimen Archiv-Hinterlassenschaft der DDR-Grenztruppen. Sie werden jetzt in einer ebenso detailreichen wie historisch verdienstvollen zweibändigen Text-Foto-Edition von der Autorin Annett Gröschner und dem Fotografen Arwed Messmer dokumentiert („Inventarisierung der Macht. Die Berliner Mauer aus anderer Sicht“, Hatje Cantz Verlag).
Verlauf der Mauer um West-Berlin
Sie vollenden damit ein schon vor Jahren begonnenes Langzeitprojekt, verbunden mit einer Ausstellung im Berliner Haus am Kleistpark (bis 21. August). Über 1000 Panoramen und Einzelbilder zeigen den gesamten Verlauf der Mauer um West-Berlin, aufgenommen mit Kleinbildkameras der DDR-Grenzsoldaten.
Die Banalität der Macht, ein Staat macht Inventur - seiner Grenz- und Befestigungsanlagen. Eines der monströsesten „Bauwerke“ der Geschichte entsteht und die Erbauer halten die Aufbauphase in allen Details und Mängeln der ersten provisorischen Befestigungen fotografisch fest.
Mauerbau von 1961
Mit deutscher Gründlichkeit wird der Mauerbau von 1961 durch Berlin und um den Westteil herum in den folgenden Jahren von den DDR-Grenzsoldaten mit Kleinbildkameras oft amateurhaft dokumentiert, um die Grenzanlagen immer „perfektionierter“ zu machen. Die ersten Wachtürme (von über 200) gleichen wackligen, weil schnell zusammengezimmerten Jagdhochständen. Unterstände erinnern an Pfadfinderhöhlen oder WC-Häuschen, Grabsteine eines Friedhofs werden zum Hocker umfunktioniert, Drahtverhaue erinnern an Laufgräben des Ersten Weltkriegs. Alles wurde zunächst mit einbezogen, auch Bahndämme, Hausfassaden und Fabrikmauern.
Erst sehr viel später entstand eine „durchrationalisierte Weglaufsperre“, wie es sie zuvor noch nirgendwo gegeben habe, heißt es in der Dokumentation. Dabei wird auch daran erinnert, dass Moskau bei seiner Zustimmung zu den drastischen Absperrmaßnahmen am 13. August 1961 zunächst nur Stacheldraht genehmigt habe. Die Grenzsperren der ersten Jahre seien noch ein „scheinbares Provisorium von beeindruckend banaler Boshaftigkeit“ gewesen, schreibt Matthias Flügge in dem Buch. Die „wirkliche Monstrosität“ - nicht des Bauwerks, dessen äußere Erbärmlichkeit nie verlorenging - habe sich erst spät im damit verbundenen „Allmachtanspruch“ des Staates gezeigt.
Umdenken der Sicherheitsorgane
Die Wucht der ersten Grenzdurchbrüche (die zahlreichen Fluchttunnel wurden nach ihrer Entdeckung akribisch fotografiert) führten zu einem Umdenken der Sicherheitsorgane. Der Autor Olaf Briese spricht von einem „ungeplanten Selbstläufer“ (inklusive der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962), resultierend aus dem ungebrochenen Fluchtwillen vieler Ostdeutscher „und der demonstrativen alliierten Gleichgültigkeit gegen die Absperrung“. Der „Selbstläufer“ hatte auch einen „Maßnahmeplan“ für den „Perspektivzeitraum 1991-1995/2000“ mit einer Mauer aus Infrarot- und Mikrowellenschranken - aber Abschaltung der kostspieligen Grenzbeleuchtung, der Staat musste sparen.
Das Leben mit der Mauer
1966 war die Mauer um West-Berlin herum fast 164 Kilometer lang, bestehend aus Signalzäunen, Stolperdrähten, Panzergräben, Kontrollsandstreifen („Todesstreifen“) und Wachtürmen, bewacht von 13.000 Grenzsoldaten auf Motorrädern und zu Fuß und von 800 Hunden. Dabei ergaben sich vielerlei, auch „außerdienstliche Kommunikationen“ über die Grenze hinweg, wie die Autoren aus den Akten der Militärarchive zitieren. Was der Westen rief, wurde auf östlicher Seite penibel protokolliert (auch Beschimpfungen und Drohungen wie „Ihr seid Mörder, das wird alles registriert!“).
West-Berliner versuchten auch, mit den Grenzsoldaten „anzubandeln“, Zigaretten und Zeitungen wurden rübergeworfen und es gab sogar Frauen, die sich ausgezogen haben. Da gab es die Kuriosität der West-Berliner Exklave Steinstücken, deren Zugang für die Bewohner der 43 bebauten Grundstücke nur über den eigenen Kontrollpunkt möglich war.
Geschenke für Grenzsoldaten
Vor allem ältere Frauen brachten den oft blutjungen Grenzposten Geschenke mit, auch als Tauschgeschäft. So wurden Brecht-Ausgaben gegen Nylonhemden getauscht, besonders beliebt waren bei den Soldaten sogenannte Herrenmagazine. Manchmal diente auch der Grenzhund als Transporteur für einen Zellophanbeutel mit Schokolade und Zigaretten.
Ermittlungen gegen Grenzsoldaten
1964 wurde gegen 22 Grenzsoldaten ermittelt, die „Genussmittel, Schmuddelliteratur, Niethosen, Nylonhemden und Zündkerzen“ von der westlichen Seite erbaten. So fehlte es denn auch in den Personalakten der Grenzregimenter nicht an Tadeln für manche Soldaten: „Er ist überzeugter Anhänger des Beat“, oder er „gehörte zu den aktivsten Feindsenderhörern“. Und wer so unvorsichtig war, in seinem Tagebuch (das natürlich mitgelesen wurde), Auszüge aus Kafkas Erzählung „Der Bau“ (ausgerechnet!) abschrieb, war höchst verdächtig - eine kafkaeske Welt eben.
Und Spitzel und Denunzianten gab es auch, die meinten, etwas ganz besonders Verwerfliches melden zu müssen („Er äußerte gegenüber seinen Posten den Wunsch, 'dass er gerne mal nur für einen Tag in den Westen wolle, um dort einen Puff aufzusuchen'“). Das Lachen darüber vergeht einem, wenn man die im selben Band dokumentierten Berichte über die oft tragischen Fluchtversuche liest.
„Nehmt mich fest oder schießt! Ich versuche so oder so, nach drüben zu kommen, hier gehe ich vor die Hunde“, rief einer der Flüchtlinge. Andere drohten sogar: „Ich werde mir schon merken, wer du bist, wir rechnen beide noch ab“. Eine Frau machte „einen sehr verzweifelten Eindruck“ - deutsch-deutsche Aktenvermerke.
Verdienstvoll ist der Hinweis auf zwei frühe und heute kaum noch bekannte Werke des Schriftstellers Uwe Johnson (1934-1984). Johnson hatte 1959 seine mecklenburgische Heimat verlassen und galt seitdem in der DDR als „Republikflüchtling“. Mit Hilfe einer Fluchthelfergruppe aus dem Umfeld der Freien Universität Berlin (FU) kam seine spätere Ehefrau ebenfalls in den Westen. Der Schriftsteller („Mutmassungen über Jakob“) hat mit Fluchthelfern Gespräche geführt, in der Niedstraße in Berlin-Friedenau, wo auch Günter Grass wohnte. In den Erzählungen „Zwei Ansichten“ und „Eine Kneipe geht verloren“ verarbeitete Johnson diese deutsch-deutsche Teilungsproblematik. (dpa)