Forum Lokaljournalismus 2014 Forum Lokaljournalismus 2014: "Fehler muss man auch sterben lassen"
Köln - Bis hierher und dann ist Schluss: Fædrelandsvennen, eine der größten Lokalzeitungen Norwegens, lässt nur noch ihre Abonnenten online mitlesen. Die Frage nach Bezahlmodellen für digitale Inhalte der lokalen und regionalen Tageszeitungen ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema. Beim 22. Forum Lokaljournalismus 2014 der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb vom 29. bis 31. Januar 2014 in Bayreuth wird Projektleiter Christian Stavik erklären, wie ein radikaler Relaunch zum Erfolgsmodell wurde.
Christian Stavik ist Nachrichten-Editorund Digital-Editor bei der norwegischen Zeitung Fædrelandsvennen in Kristiansand. Gleichzeitig ist er Mitglied des Vorstands von AvisKristiansand2013. Er war zuvor Digital-Editor bei Fædrelandsvennen sowie „Entwicklerdigitale Medien“ beiFædrelandsvennen und davor Wirtschaftsjournalist bei derselben Zeitung.
Herr Stavik, eine Analyse ihrer Zeitung hat ergeben, dass ihre Leser besonders das Lokale interessiert...
Christian Stavik: Vor unserem Relaunch haben wir eine großangelegte Umfrage gestartet. Was wollen unsere Leser? - Vor allem lokale Breaking News, Neuigkeiten über ihren Fußballklub, Verkehrsnachrichten.
Wie wichtig ist den Norwegern ihre Lokalzeitung?
Stavik: Lokalzeitungen spielen eine wichtige Rolle in Skandinavien, prägen den sozialen und politischen Diskurs, decken Missstände auf und fördern den Zusammenhalt in Gemeinden. Gerade weil sie so wichtig sind, sind sie noch am wenigsten von den fallenden Auflagen im Printbereich betroffen. Außerdem haben viele größere Lokalzeitungen eine gute digitale Strategie entwickelt. Die kleinen haben es da schon schwerer.
Die skandinavischen Zeitungen sind Grafik-Europameister. Was machen Sie besser?
Stavik: Die größten Regionalzeitungen und viele Lokalzeitungen haben starke Grafikabteilungen. Einige Geschichten wurden ausgezeichnet. Man muss jedoch sagen, dass das hauptsächlich für das gedruckte Papier gilt. Der digitale Wandel ist unterwegs, wir erleben eine Umbruchphase und viele Medienhäuser stellen IT-Entwickler und digitale Mediendesigner ein, aber da wird noch viel gebastelt – man kann ja schließlich nicht das Know-How der Print-Grafiker eins zu eins auf das Netz übertragen.
Freemium- statt Metered-Model
Bleiben wir im Netz. Viele Zeitungen wie etwa die New York Times benutzen das Metered-Model – ein paar Artikel können alle lesen, aber ab einer bestimmten Anzahl muss man zahlen. Ihr Medienhaus hat sich für ein Freemium-Model entschieden – nur wer ein Abo hat, kann die Inhalte auch digital lesen. Warum so ein radikaler Ansatz?
Stavik: Wir haben lange überlegt. Unsere Analysen haben auf ein Freemium-Model hingedeutet, doch unser Bauchgefühl sagte uns, dass das Metered-Model das Richtige ist. Das Freemium-Model bedeutet eine viel stärkere Umstrukturierung der Redaktion. Vor dem Relaunch etwa schrieben rund 70 Prozent der Journalisten für Online und Print, heute sind es 100 Prozent.
Warum dann doch das Freemium-Modell?
Stavik: Wir verlieren seit 1995 kontinuierlich Leser. Wir wussten also, wir müssen uns verändern – und wenn wir die Chance haben, uns zu verändern, warum dann nicht gleich radikal? Das Freemium-Modell ist perfekt für unsere wichtigste Zielvorgabe: Wir wollten einen zusätzlichen Nutzen für unsere Kunden. Uns ging es also nicht primär darum – wie beim Metered-Model – neue Kunden anzulocken, sondern bereits bestehenden Kunden MEHR zu bieten.
Radikale Lösungsansätze haben meist Gegner. Wie haben Geschäftsleitung und Redaktionsleitung alle Journalisten an Board geholt?
Stavik: Wir haben von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Für den Relaunch haben wir einen externen Kommunikationsprofi ins Team geholt, der war zu 70 Prozent für die interne Kommunikation verantwortlich. Uns war bewusst: Wenn wir nicht alle Journalisten begeistern können, können wir das Projekt vergessen. Für die interne Kommunikation haben wir eine App entwickelt – jeder im Haus hat bei uns ein iPhone. Die wurde dazu benutzt, dass jeder auf dem Laufenden war. Zusätzlich wurden Infos rumgeschickt – zum Beispiel internationale Medienberichte, die zu unserem Relaunch passten. Parallel dazu gab es viele persönliche Gespräche, da war ich unter anderem als Projektleiter gefragt.
Oft werden Umbrüche im Unternehmen genutzt, um Personal einzusparen. Wie viele Leute verloren bei Fædrelandsvennen ihren Job?
Stavik: Niemand wurde wegen des Relaunchs gekündigt. Unabhängig davon gab es jedoch sechs Monate danach Kürzungen von 25 Prozent, weshalb wir unsere Redaktion verkleinern mussten. Andererseits brauchten wir für unser Web-TV mehr Ressourcen und wir stellten einen Social-Media-Experten und einen Nachrichtenanalysten ein, der bei uns jetzt mitten im Newsroom sitzt.
Vorbereitet auf den Shitstorm
Stichwort Soziale Medien: Dort war die Reaktion auf eine Paywall wahrscheinlich am Heftigsten zu spüren...
Stavik: Ja, aber damit hatten wir auch gerechnet. Wir haben uns sehr gut auf negative Szenarien vorbereitet: Wie reagieren wir auf Shitstorms? Was machen wir, wenn jemand unsere Seite hackt? All das, was wir uns ausgemalt haben, ist eingetroffen. In den ersten zwei Wochen nach der Umstellung waren wir jeden Tag 24 Stunden für jeden erreichbar. Ein Team von etwa sechs Leuten arbeitete abwechselnd daran. Wir haben über soziale Netzwerke versucht, Fragen so zu beantworten, dass der Shitstorm nicht außer Kontrolle geriet. Natürlich gab es viele Gegner, eine Facebook-Gruppe mit dem Titel „Put down the Paywall“ - „Weg mit der Bezahlschranke“ - bekam 2000 Likes. Nach und nach wurde es aber besser, einige unserer Leser befürworteten die Umstellung und setzten sich für uns im Netz ein.
Was haben Sie den Leuten erzählt, warum diese Paywall Sinn macht?
Stavik: Der jüngere Zielgruppe sagten wir, dass sie mit einem Abo nicht nur ihre Zeitung geliefert bekommen, sondern sie die jetzt auch auf ihrem Tablet, Handy oder Computer lesen können, wann und wie sie wollen. Die ältere Zielgruppe beruhigten wir, in dem wir ihnen sagten, dass alles so bleibt, wie es war.
Das Konzept ging offensichtlich auf. Die Reichweite der Fædrelandsvennen ist 2013 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 10 Prozent gestiegen. Haben Sie denn nichts falsch gemacht?
Stavik: Doch. Unser Auftritt auf dem Handy ist ziemlich schief gegangen. Wenn wir noch einmal so ein Projekt machen, würden wir die Apps ganz draußen lassen. Wir haben ein paar entwickelt: die App zum lokalen Fußballklub, eine Verkehrs-App und eine App zu den Vorteilen für unsere Kunden. Die waren alle ein Reinfall, weil wir zu wenig fokussiert waren, aber Fehler muss man auch sterben lassen können. Außerdem hatten wir zu wenig technische Unterstützung, manche Fehler auf der Webseite blieben monatelang stehen, auch gab es zu wenige Möglichkeiten, um das Nutzungsverhalten unserer Kunden auf der Webseite zu überprüfen.
Was wäre der größte Fehler, den Medienhäuser begehen könnten?
Stavik: Nichts zu machen. Ich rate jedem, keine Angst vor Veränderungen zu haben, sein eigenes Modell zu entwickeln. Man sollte nicht nur den eigenen Leuten zuhören, sondern auch den Lesern und das dann mit einbringen. Eine klares Modell, eine einfache Kommunikation und flexibel zu sein für Änderungen nach dem Relaunch sind wichtig. Get started!