Film über Wutbürger Film über Wutbürger: "Nationalstraße" von Jaroslav Rudis mit Hilfe aus Halle verfilmt

Prag - Diese abgerockte Kneipe kommt dem Ostdeutschen sofort vertraut vor. Überhaupt hat der Film, der hier gedreht wird, in einem Neubauviertel am Rande von Prag, eine Menge mit den Problemen von Neufünfland zu tun. Das dämmert einem schnell im schummrigen Licht dieser verqualmten Spelunke, die eine Oase der Verlierer ist. Der Abgehängten, wie man leichthin sagt - ohne zu wissen, ob sie denn jemals angekoppelt waren an den Zug des Fortschritts, sei es im versunkenen Realsozialismus oder in den später erblühenden Landschaften des Kapitals.
„Nationalstraße“ heißt das Filmprojekt, eine tschechisch-deutsche Koproduktion unter Beteiligung der halleschen Firma 42film von Eike Goreczka und Christoph Kukula, die zuletzt mit „Lemonade“ und „Nanouk“ starke Beachtung fand. Das aktuelle Projekt entsteht nach Motiven des gleichnamigen, auch in Deutschland viel diskutierten Romans von Jaroslav Rudiš.
„Nationalstraße“ heißt der in im Luchterhand Verlag erschienene Roman von Jaroslav Rudiš, dessen Hauptfigur Vandam ein authentisches Vorbild zugrunde liegt. In der Prager Nationalstraße nahm im November 1989 die samtene Revolution mit Protesten gegen das kommunistische Regime ihren Ausgang. Zurzeit wird der Roman über einen Wutbürger in Prag für das Kino verfilmt. An der tschechisch-deutschen Koproduktion ist die hallesche Firma 42film („Corn Island“, „Lemonade“, „Nanouk“) beteiligt. Jaroslav Rudiš liest im Rahmen der Reihe „Literatur im Volkspark“ am 12. November um 19.30 Uhr in Halle.
Wir verlosen 3x2 Karten für die Lesung, Kennwort „Nationalstraße“, per Mail bis 8.11. an: [email protected]
Der tschechische Autor, am Montag in Halles Volkspark zu Gast, lebt wie sein Landsmann, der Regisseur Štěpán Altrichter, zurzeit überwiegend in Berlin. Altrichter hat an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg studiert, „Nationalstraße“ ist nach „Schmitke“ erst sein zweiter Langfilm. Da kann man schon mal nervös werden. Altrichter indes wirkt ruhig, ist bestimmt in seinem Anspruch, die perfekte Einstellung zu drehen. Die Tage sind ihm freilich zu kurz - angesichts dessen, was er bewältigen will. Der Stoff von Rudiš lässt ihn nicht los, seit anderthalb Jahren.
Hitlergruß im Stadion
Warum er ausgerechnet einem solchen Typen wie dem literarischen Anti-Helden Vandam ein Forum bieten wolle, ist er gefragt worden. Einem, der im Fußballstadion auch schon mal den Hitlergruß zeigt und nichts Schlimmes daran finden will. Einem Wutbürger tschechischer Herkunft, der auch aus Chemnitz kommen könnte.
Eben, sagt Štěpán Altrichter, darum ginge es ja: Einem wie Vandam zuzuhören, dem keiner zuhören will. Ebenso wenig wie seinen traurigen Kumpels aus der Vorstadtkaschemme, um deren Bestand die Trinkergemeinde obendrein fürchten muss. Wie aber, fragt sich der junge Filmemacher, soll die Spaltung der Gesellschaft in Glückliche, denen es gut geht, und Randständige, die sich ausgeschlossen fühlen, je aufgehoben werden, wenn es immer weniger Kommunikation innerhalb der Gesellschaft gibt?
Der 1981 in Brno (Brünn) Geborene kennt sich im Übrigen recht gut mit den Problemen der Deutschen, auch der Ostdeutschen aus. Da liegen die Schnittmengen zu seiner tschechischen Heimat auf der Hand. Auch der Nationalismus gehört zu diesem Problempaket, der jetzt fast überall in Europa wieder erstarkt. Mit 13 ist Altrichter seinen Eltern in den Westen gefolgt, der Vater ist Dirigent, da kommt man herum und kann sein Weltbild weiten.
Nicht ohne Augenzwinkern
Seinen wütenden Außenseiter Vandam, gespielt von dem renommierten tschechischen Darsteller Hynek Čermák, will der Regisseur als tragikomische Figur zeigen, mit einem Augenzwinkern also, das der Literatur und dem Film seiner Heimat so unvergleichlich eigen ist.
Wir fahren während des Gesprächs durch das abendliche Prag, in der Kneipe sind die meisten Einstellungen im Kasten, Robert Lacroix wird Bilder und Ton für 42film in seinem mit Technik vollgepackten Kleintransporter digital aufbereiten und fit machen für die Postproduktion, das technische Finale gewissermaßen, das in Halle stattfindet.
Jetzt aber, am Abend, muss noch ein neuer Drehort besichtigt werden. Eine Neubauwohnung im sechsten Stock, von deren Balkon Vandams Vater in den Tod springt. Es wird ein harter Film werden, nah an der Wirklichkeit. Die man sich nicht schöner malen kann als sie eben ist. (mz)


