Film Film: «Schlafen kann ich, wenn ich tot bin»

München/dpa. - Als Rainer Werner Fassbinder, der am 31. Mai 60 Jahre altgeworden wäre, am 10. Juni 1982 in München starb, hinterließ der 37-jährige Regisseur ein Werk, das sowohl im Umfang als auch in seinerprovozierenden Qualität in Deutschland immer noch einzigartig ist:Über 40 Spielfilme in 13 Jahren, noch mehr Drehbücher, dazuFernsehserien und Theaterstücke.
«Bist du so früh gestorben, weil du dich so beeilt hast?», fragtesein Star Hanna Schygulla in einem Nachruf. «Oder hast du dich sobeeilt, weil du so früh stirbst?» Wahrscheinlich stimmt beides.Manche von Fassbinders Weggefährten meinen, der Regisseur habe sichauch aus eigenen Ängsten so in seine Arbeit gestürzt. «Das Wunderbarean diesem Widerling war: Er machte mit seiner Angst den anderen Mut.Wohl keiner von Deutschlands großen Künstlern hat sich soschonungslos preisgegeben», meinte einmal sein Kollege Hark Bohm. Fürdie vor wenigen Monaten gestorbene US-Autorin Susan Sonntag warFassbinder eines der einmaligen Talente des 20. Jahrhunderts.
Der 1945 im bayrischen Bad Wörishofen geborene Fassbinder, dernach eigenem Bekunden immer Filme machen wollte, gehört zu denproduktivsten und bedeutendsten Regisseuren des deutschen Films nach1945. Filme und der Prozess ihres Entstehens waren für Fassbinder«immer auch der Versuch, von mir selbst etwas besser zu begreifen».So kompliziert seine Person war, so widersprüchlich ist auch seinWerk: Der manchen als bösartig und unkontrollierbar geltendeRegisseur drehte hochsensible Filme in Rekordzeit. Allein 1969entstanden zehn Filme, darunter «Liebe ist kälter als der Tod» und«Katzelmacher». In beiden Streifen spielt Fassbinder selbst einenMann, der isoliert ist und letztlich scheitert.
Einen autobiografischen Stempel trägt auch die 1970 entstandene«Warnung vor einer heiligen Nutte», in der er Spannungen undAggressionen in einem Filmteam thematisiert. Der Psychoterror auf derLeinwand gerät ihm, wie Betroffene erzählen, durchaus realistisch:Auch Fassbinder habe als unberechenbare Diva grausam und zärtlichsein können. Spätestens Anfang der 70er Jahre gilt der Fußballfan,damals Mitte 20, der Kritik entweder als Enfant terrible oder als«Wunderkind» des Neuen Deutschen Films. «Die bitteren Tränen derPetra Kant», das heikle Melodram «Angst essen Seele auf» oder seinepräzise Fontane-Verfilmung «Effi Briest» erregen Aufsehen.
Die frühen Jahre der Bundesrepublik thematisiert Fassbinder amBeispiel von Frauenschicksalen in «Die Ehe der Maria Braun», «Lola»und «Die Sehnsucht der Veronika Voss». Fassbinder blickt dabei aufdie Schattenseite des Wirtschaftswunders, auf Vereinsamung undProvinzialität. Ein Publikumserfolg wird «Lili Marleen» mit HannaSchygulla als Sängerin Lale Andersen. Sein nach Kritikermeinunggrößtes und schönstes Werk gelingt Fassbinder mit der Verfilmung desRomans «Berlin Alexanderplatz» von Alfred Döblin. In der 14-teiligenFernsehserie setzt er der wilden, verunsicherten Figur des FranzBiberkopf ein Denkmal. Schwule Obsessionen verarbeitete er in derGenet-Adaption «Querelle», seinem letzten Film.
Die Meinungen über Fassbinders Homosexualität gehen auseinander.So meinte der Schauspieler Karlheinz Böhm, der zu den Protagonistendes Regisseurs gehörte: «Ich bin der festen Überzeugung, Rainer hatsich dieses Image der Homosexualität als Protest gegen den Vaterzugelegt, aber auch als Protesthaltung gegenüber der Gesellschaft.»Seine langjährige Cutterin und Lebensgefährtin Juliane Lorenz sagte:«Es hat Zeiten gegeben, in denen er als Schwuler gelebt hat, undandere Zeiten, in denen er bisexuell gelebt hat. Wahrscheinlich hater lieber mit Männern geschlafen. Mit einer Frau, das war eher Arbeitfür ihn, und er hatte auch Angst davor.» Und Margarethe von Trottasieht in Fassbinders sexueller Obsession einen Quell seinerungeheuren Schaffenskraft.
Die ARD zeigt zum 60. Geburtstag Fassbinders vom 25. Mai anausgewählte Filme des Regisseurs, darunter die Streifen «DieSehnsucht der Veronika Voss» und das Frühwerk «Warum läuft Herr R.Amok?». In Paris ist noch bis zum 6. Juni im Centre Pompidou eineRetrospektive zum Werk Fassbinders zu sehen, der in Frankreich bisheute als einer der wichtigsten Filmemacher Deutschlands gilt. «Esgibt drei Namen, die in Frankreich für das deutsche Kino stehen:Fassbinder, Wim Wenders und vielleicht noch Volker Schlöndorff, aberder wird schon zu stark mit Amerika assoziiert», fasste einfranzösischer Filmkritiker zusammen.