Eurovision Songcontest Eurovision Songcontest: Der Sängerkrieg zu Kopenhagen

Halle (Saale)/MZ - Es ist nur Musik, nur ein Lied mit einem flapsigen Text. „Ist es richtig, ist es richtig?“, fragt Elzbieta „Ela“ Steinmetz, die Sängerin der Band Elaiza da, während die aus Arendsee in der Altmark stammende Akkordeonspielerin Yvonne Grünwald und Bassistin Natalie Plöger einen wilden Polka-Pop-Mix spielen. Es ist nur ein Liebeslied, in dem es darum geht, dass der eine den anderen nicht versteht. Die deutschen Vorausscheidgewinner werden damit heute in Kopenhagen versuchen, den Sieg im größten Sängerwettstreit weltweit zum dritten Mal nach Nicole und Lena Meyer-Landruth nach Deutschland zu holen.
Mehr als hundert Millionen Menschen werden zuschauen
Zugleich aber ist es viel mehr, wie der 21-jährigen Bandchefin klar ist. Mehr als hundert Millionen Menschen werden zuschauen. Und für viele von ihnen ist diese Europameisterschaft der Popmusiker längst mehr als ein Wettbewerb um die schönste Melodie, das hübscheste Kostüm und den gewagtesten Auftritt. Niemand weiß das besser als Ela Steinmetz, die eine polnische Mutter und einen ukrainischen Vater hat, nach dessen frühen Tod sie als Teenager nach Deutschland kam. Hier hat sie mit Singen angefangen, hier hat sie völlig überraschend den nationalen Vorausscheid gegen den favorisierten Superstar Der Graf und seine Band Unheilig gewonnen.
Und nun steht die polnisch-ukrainisch-deutsche Sängerin auf einmal auf der Bühne Songcontest, der so politisch ist wie lange nicht mehr. Schon im ersten Halbfinale, in dem die Ukraine und Russland antreten mussten, zeigte die Realität, dass sie bis in die Glitzerwelt der B&W-Arena in Kopenhagen ausstrahlt. Die Tolmachevy Twins Anastasiya und Maria, die mit ihrem Lied „Shine“ für Russland antreten, ernten Buhrufe. Maria Yaremchuk aus der Ukraine dagegen wird mit warmem Applaus begrüßt und nutzt die Gelegenheit für ein klares Statement. „Alles, was ich hier mache, mache ich für die Menschen in der Ukraine“, sagt sie, „ich stehe nicht allein auf der Bühne. Hinter mir auf der Bühne stehen 46 Millionen Ukrainer.“
Wettbewerb verdankt seine Existenz dem Kalten Krieg
Für den Eurovision Songcontest, der sich immer als unpolitische Veranstaltung verkauft hat, ist das kein Neuland. Ganz im Gegenteil: Der ehemals „Grand Prix Eurovision“ genannte Wettbewerb verdankt seine Existenz dem Kalten Krieg. Damals, Anfang der 50er Jahre, weitete sich das Nebeneinander des von den USA gestützten kapitalistisch wirtschaftenden Westen und der sowjetischen Satellitenstaaten im Osten langsam zu einem fortwährenden Kampf um die Köpfe aus. Per Radio und Fernsehen agitierten beide Lager ihre eigene Bevölkerung, noch mehr aber die Menschen im jeweils anderen Machtbereich. Die USA betrieben Radio Free Europa und den Rias, die DDR hielt mit dem Deutschen Freiheitssender 904 dagegen. Im Jahr 1956 dann beschloss die Europäische Rundfunkunion, in der damals 23 Fernsehsender organisiert waren, als regelmäßige gemeinsame Sendung einen internationalen Song Contest einzuführen.
Sieben Länder traten bei der Premiere im schweizerischen Lugano an, für Deutschland startete der aus Aschersleben stammende Schlagersänger und KZ-Überlebende Walter Andreas Schwarz mit der traurigen Klavier-Ballade „Im Wartesaal zum großen Glück“. Es siegte schließlich die Schweizerin Lys Assia mit einem Stück namens „Das alte Karussell“ - vor allem aber siegte der westliche Gesellschaftsentwurf, wie Donald Sasoon, Professor für Europäische Geschichte an der University of London, später analysierte. Die Botschaft des Eurovision Songcontests sei deutlich gewesen: „Hier gibt es Spaß und Freiheit, dort nur langweiligen Kommunismus.“
Der Grand Prix war eine Leistungsschau der leichten Muse auf einem Unterhaltungsdampfer in schwerer See – und Grund genug für den Osten, nachzuziehen. Vier Jahre nach der Musikoffensive aus dem Westen starteten DDR, Polen, die CSSR und die übrigen sozialistischen Staaten einen eigenen Senderverbund namens Intervision. Ein Jahr später fand dann in Danzig der erste Intervision-Liederwettbewerb statt, den der Schweizer Jo Rolland mit der jazzigen Nummer „Nous deux“ gewann.
An die Bedeutung des Vorbildes aber kam der realsozialistische Versuch trotz solcher internationalen Starter nicht heran. Caterina Valente, Charles Aznavour, Bonnie Tyler und Johnny Cash wurden ins polnische Sopot gekarrt, wo das Festival nach der Premiere dauerhaft stattfand. Millionen schalteten ein, doch eine Popularität wie sie der Grand Prix erreicht hatte, blieb auch aus technischen Gründen unerreicht. Weil das Telefonnetz in den osteuropäischen Ländern so schlecht ausgebaut war, verbot sich das im Westen übliche Televoting. Stattdessen forderten die Moderatoren ihre Zuschauer auf, ihre Wohnraumbeleuchtung auszuschalten, wenn sie ein Lied gut fanden. Die Energieversorger sollten dann anhand der Verbrauchskurven bestimmen, wessen Lied am besten angekommen war.
Ost-Wettbewerb kann sich nicht durchsetzen
Ein Verfahren, das sich nicht durchsetzen konnte. Ebensowenig wie der Ost-Wettbewerb gegen den Song-Contest. In dem vereinten sich nach dem Ende des Ostblocks alle europäischen Nationen, ein Kontinent in vielen Liedern, gesungen von Startern, die zeitweise aus mehr als 40 Ländern kamen. Deren Publikum begriff das Kräftemessen mit flotten Melodien allerdings von Anfang an als einen Wettbewerb um viel mehr als nur Musik: Bruderländer überhäufen sich mit Punkten, konkurrierende Staaten gönnen sich keine Erwähnung.
2004 siegt die Ukraine, als Ruslana für ihr Stück „Wild Dances“ antritt und von Russland satte zwölf Punkte bekommt. 2008 holt Dima Bilan den Titel mit seinem Lied „Believe“ nach Russland, obwohl die Nachbarn aus der Ukraine ihm nur vier Punkte zubilligen. Heute Abend wird es wieder spannend. Und so politisch wie nie.

