Europas Minnesänger im Wettstreit in Braunschweig
Braunschweig/dpa. - Die Harmonien sind für heutige Ohren oft gewöhnungsbedürftig. Und die Mehrheit der Zuhörer dürfte nur einen kleinen Teil der Texte verstehen. Der Faszination mittelalterlicher Musik tut das keinen Abbruch.
Das beweist das große Interesse an dem noch bis zum Sonntag laufenden europäischen Minnesang-Festival in Braunschweig - mit Künstlern aus Deutschland, England, Frankreich, Österreich und Tschechien. Am Ende wird in Braunschweig ein Barde den Siegerkranz erhalten für sein kunstvolles Werben um die Gunst seiner angebeteten Dame.
Die niedersächsische Stadt bietet mittelalterliche Vergangenheit - als Heimat Ottos IV. (1175-1218), des einzigen deutschen Kaisers aus dem Hause der Welfen. Ihm ist noch bis zum 8. November eine Landesausstellung gewidmet, zu deren Begleitprogramm das Minnesang- Festival gehört. Auf Authentizität haben die Organisatoren bei den Veranstaltungsorten Wert gelegt. Mit dem Altstadtrathaus, der St.- Martini-Kirche und dem Dom St. Blasii wählten sie drei der bedeutendsten mittelalterlichen Gebäude Braunschweigs für die Konzerte aus.
«Das sind ideale Umgebungen für die Auftritte», schwärmte der künstlerische Leiter Lothar Jahn. Der Musikwissenschaftler aus Hofgeismar und Betreiber der Internetseite www.minnesang.com ist ein fundierter Kenner der Materie. Ihn wundere es nicht, dass selbst im 21. Jahrhundert noch Musiker die mittelalterliche Tradition aufnehmen. «Weil die Melodien auf nur sehr einfache Weise und ohne jeden Rhythmus notiert wurden, bieten sie Platz für Interpretationen. Da ist Kreativität gefragt. Das reizt die Künstler.»
Giovanni di Giannantonio, der als Sänger in Braunschweig auftreten wird, hat noch ein anderes Motiv. In seiner norditalienischen Heimat sei Minnesang als Tradition noch sehr lebendig. Er habe festgestellt, dass das in vielen Regionen ähnlich sei. «Das ist ein Stück gesamteuropäischer Kultur. Schließlich hat das Europa von heute seine Wurzeln im Mittelalter», betonte er.
Den Zuhörern gefällt das offenbar, denn Jahn sieht das Interesse am künstlerischen Minnesang «eher zunehmen». Und das, obwohl nicht nur das mittelalterliche Klangschema völlig anders ist als das heutiger Musik. Die Texte sind in Mittelhochdeutsch, Altfranzösisch oder Latein verfasst. Für die Besucher gibt es daher ein Heft mit hochdeutschen Übersetzungen.
Die Themen sind nach Jahns Auffassung hingegen «ganz zeitlos». Deftige Scherze und Politik gehören dazu. Die große Mehrzahl der Lieder handeln aber von der - meist unerfüllten - Liebe zu einer holden Dame. Um wen es sich dabei beim «Sängerkrieg» am Samstagabend in der St.-Martini-Kirche handelt, steht bereits fest. Die Darstellerin Britta Breuckmann wird als «edle Frau Beatrix» darüber entscheiden, welcher Barde den Siegerkranz erhält. «Zusätzlich haben wir auch noch eine Publikumsabstimmung», erklärte Organisator Hilger und räumte ein: «Die ist eigentlich zu demokratisch, um richtig mittelalterlich zu sein.»