Erstveröffentlichung vor 50 Jahren Erstveröffentlichung vor 50 Jahren: Der Lorbeer und sein Luther

Halle/MZ. - Und:„Wir müssen's feiner schmeiden,Berthold, auch das mit der Freiheitssach'!“. Nach fast 1 800 Seiten sieht man buchstäblich den festen Druck der schwieligen Hände, mit dem diese utopische Verabredung besiegelt wird. Und man schließt ermattet den letzten Band der Trilogie "Die Rebellen von Wittenberg", die nun als Reprint im halleschen Projekte-Verlag 188 erschienen ist.
Vor 50 Jahren hatte der Wittenberger Schriftsteller Hans Lorbeer den ersten Teil "Das Fegefeuer" vorgelegt - und war damit eine Selbstverpflichtung eingegangen, die mit erheblichen Risiken behaftet schien. Zwar soll der Autor den Auftrag für ein sozialistisch getöntes Historiengemälde über die Reformationszeit vom DDR-Kulturminister Johannes R. Becher persönlich erhalten haben. Doch selbst wenn Lorbeer einen untadeligen kommunistischen Lebenslauf vorweisen konnte, der von der Mitbegründung des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller über die Lagerhaft im Nationalsozialismus bis zum Bürgermeisteramt im Piesteritz der Nachkriegszeit reichte, blieb ein Luther-Roman heikel. Wie sollte man die Trennung von göttlichem und weltlichem Reich mit einer Ideologie versöhnen, in der kein Jenseits vorgesehen war?
Lorbeer erzählte die Geschichte aus jener Perspektive, die er als unehelicher Sohn einer Dienstmädchens und als Hilfsarbeiter im Piesteritzer Stickstoffwerk selbst kennen gelernt hatte - von schräg unten aufschauend. Dass der zweite Band "Der Widerruf" dennoch in die Annalen der DDR-Zensur einging, weil er mit 123 Tagen die längste aktenkundige Genehmigungszeit eines historischen Romans benötigte, lag auch am ungünstigen Gutachten eines einflussreichen Literatur-Funktionärs namens Heinz Kamnitzer: Lorbeer habe den Luther-Stoff nicht bewältigt, sondern sei von ihm überwältigt worden, schrieb der Kollege.
Rückblickend liegt in eben diesem vermeintlichen Makel die Qualität, die Lorbeers Trilogie über den Zeithorizont hinaus brauchbar macht. Obwohl es Lorbeer mit wenigen dramaturgischen Griffen gelingt, den Anteil des Arbeiters am Anschlag der Thesen auf ein Maximum zu steigern und die Triebkräfte der Reformation zu erden, kann er sich der Faszination des Gottesmannes Luther nicht entziehen. Indem er einen kräftigen Kontrast zu jenen Mönchen aufbaut, die dem armen Waisenmädchen Barbara das karge Erbe abjagen und unzufriedene Bauern mit dem Scheiterhaufen bedrohen, setzt er die Ausnahmeerscheinung per Negativ in ein helleres Licht. Und dass er an Thomas Müntzers radikalerem Weg Zweifel anmeldet, die bis in die physiognomische Schilderung des gelbgesichtigen Hasspredigers reichen, ist im Land der Bauernkriegs-Apologeten bemerkenswert.
Beeindruckend, aber mit der Zeit auch anstrengend bleibt die altertümliche Detail-Freude des Erzählers Lorbeer: Seitenlang pinselt er Genrebildchen aus dem alten Wittenberg, führt den Leser durch die engen Gassen oder in das Halbdunkel der Schenken und Kapellen. Man spürt die Inspiration durch zeitgenössische Gemälde und Grafiken - und die Transpiration eines älteren Herren, der mit Vorliebe junge Frauenkörper in allen Schattierungen beschreibt. Die verkrochene, verschwitzte Erotik, die auf ausnahmslos alle Protagonisten abfärbt, gibt dem von Lorbeer ohnehin künstlich gealterten Text heute zusätzliche Patina.
Als Sittenbild des frühen 16. Jahrhunderts aber ist das Buch wegen des Aufwands und der Sorgfalt jenen historischen Romanen vorzuziehen, die heute als Dutzendware auf den Markt geworfen werden. Das Luther-Porträt des Herrn Lorbeer bleibt zwar ein Spiegelbild jener Zeit, aus der man hier auf ihn blickt - aber ist das bei neueren Entwürfen wie Eric Tills aufwändigem Kinofilm wirklich anders?
Hans Lorbeers "Die Rebellen von Wittenberg", Projekte-Verlag 188 Halle, 3 Bände mit zus. 1 733 Seiten, 49,90 Euro.