Elektro-Pioniere Elektro-Pioniere: Die Mensch-Maschine zeigt Gesicht

Hamburg/dpa. - «Es ist multimedial, wie ein Gesamtkunstwerk», sagtGründungsmitglied Ralf Hütter im dpa-Interview über die Auftritte desQuartetts. Mit minimalistischer Strenge zitiert Kraftwerk dabei dieÄsthetik vergangener Jahrzehnte - und ist doch zeitlos modern.
Mechanisch verzerrt begrüßt eine Stimme vom Band das Publikum, ehesich der Vorhang öffnet; die Schatten auf dem Stoff werden mit einemMal zu leibhaftigen Musikern: «Guten Abend, meine Damen und Herren,heute Abend: Die Mensch-Maschine.» Wo sich bei früheren Tourneen nochComputer und andere Gerätschaften türmten - stets der bloßen Staffageverdächtig -, herrscht nun die Monumentalität des Schlichten: VierMänner in dunklen Anzügen und roten Hemden, jeder an einem Stehpult,den konzentrierten Blick auf den Laptop darauf gerichtet.
«Kraftwerk war von jeher ein Konzept für eine live-elektronischeMusik: die Mensch-Maschine», sagt Hütter, «mit dem Live-Albumerfüllen wir uns einen alten Traum». Im Konzert lehnt der 59-Jährige,das Spielbein vorsichtig im Rhythmus wippend, am Pult und beschwörtim Sprechgesang die Kraftwerk-Formel: «Halb We-sen und halb Ding.»Bei fast jeder Textzeile führt Hütter die Hand zum Kopfmikrofon, alskönnte ein Luftzug die Präzision seiner Arbeit stören. In perfekterAbstimmung zur Musik laufen Projektionen auf der Videowand, die diegesamte Bühnenbreite hinter der Band ausfüllt. Bei «Mensch-Maschine»bedient sich Kraftwerk der Ästhetik des russischen Konstruktivismus.
Es sind diese Projektionen - Videos, Animationen, Textpassagen -,die die klinisch-sauberen, bisweilen monotonen Klänge der Kraftwerkerdramatisch überhöhen: Die Split-Screens, auf denen der Trans-Europa-Express mit überwältigender Wucht und Eleganz durch die Landschaftenschneidet, die bunten Leuchtreklamen, die den Zuschauer während dersehnsüchtig-melancholischen Großstadthymne «Neonlicht» umtanzen - dasPublikum scheint schier nicht zu wissen, ob es staunen, tanzen odermit seinen ungezählten Handys fotografieren soll.
Zu einem Höhepunkt gerät - im Konzert wie auf der DVD - derAuftritt der Roboter. Seit den späten 70er Jahren arbeitet Kraftwerkmit künstlichen Doubles, die erst zu Werbezwecken angefertigt, späteraber auch live eingesetzt wurden. Im Vergleich zur ersten Generation,modellierten Schaufensterpuppen, hat die aktuelle Variante mitbeweglichen Köpfen, Armen und Gelenken einen Technologiesprung hintersich. Es ist ein Schauspiel von entrückter Schönheit, wenn dieAutomaten allein auf der Bühne, mit wächserner Maske und starremBlick, zur Musik ihre Choreografie «mekanik» aufführen.
Für die Roboter gilt, was Hütter über das Projekt Kraftwerkinsgesamt sagt: «Was wir früher in den 70er Jahren projiziert hatten,die Mensch-Maschine oder die Computerwelt, das war damals ja nochZukunftsvision.» Mittlerweile hält die Hardware mit KraftwerkSchritt: Die Digitaltechnik ermöglicht den direkten Zugriff auf alleMusikdateien aus dem Archiv des legendären Kling Klang Studioswährend der Konzerte. «Wir erzeugen und modulieren die Klänge inEchtzeit», sagt Hütter. Für die Gruppe beginne damit eine neue Ära.
Da ist es nur konsequent, dass Kraftwerk nach dem Live-Album, dasauch als limitiertes Boxset im Notebook-Design erscheint, noch nichtan Ruhestand denkt. «Wir arbeiten einfach weiter», kündigt Hütterlakonisch an und verspricht - wenn auch ohne zeitliche Festlegung -ein neues Album der Mensch-Maschinen. «Das ist unser Leben.»