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Eine Welt ohne Menschen - Weismans mutiges Gedankenspiel

Von Christian Schultz 27.08.2007, 08:57

München/dpa. - Verlassene Städte, menschenleere Autobahnen, verwaiste Fabriken: Alan Weisman lässt sich in seinem Buch «Die Welt ohne uns» auf ein faszinierendes Gedankenspiel ein. Wie sähe die Erde aus, wenn alle rund 6,7 Milliarden Menschen plötzlich verschwänden?

Der renommierte amerikanische Journalist, der unter anderem für das «New York Times Magazine» schreibt, skizziert, wie schnell Spuren unserer Zivilisation verwischt und Tiere und Pflanzen verlorenes Terrain zurückerobern würden. Es ist eine beeindruckende gedankliche Reise, die dem Leser die Macht der Natur und die Vergänglichkeit unserer Spezies vor Augen führt.

Weisman gibt sich keinen apokalyptischen Fantasien über den Untergang der Menschheit hin. Es geht ihm nicht darum, ein finsteres Bild des Jüngsten Gerichts zu zeichnen samt finaler Bestrafung einer gescheiterten Zivilisation. Den ökologischen Zeigefinger hebt er gleichwohl auf subtilere Art und Weise, indem er schildert, dass menschliche Altlasten wie Plastik und radioaktiver Müll noch Jahrtausende lang Schäden anrichteten. Erst 100 000 Jahre nach unserem kollektiven Ableben würde sich der CO2-Gehalt in der Luft wieder auf dem vormenschlichen Niveau eingependelt haben.

Andere menschliche Schöpfungen wiederum wären schon nach Tagen und Monaten verschwunden oder unbrauchbar. Beispiele sind pulsierende Lebensadern heutiger Metropolen. Bereits zwei Tage ohne die Arbeit leistungsfähiger Pumpen stünden die Tunnel der New Yorker U-Bahn unter Wasser. Nach einem Jahr hätten Pflanzen die Asphaltbeläge der Straßen aufgebrochen, Frost und Hitze erledigten den Rest. Häuser, vom kleinen Vorstadthaus bis zum majestätischen Wolkenkratzer, würden löchrig und instabil, Weisman gibt ihnen 50, bestenfalls 100 Jahre.

Wie solche Zerfallsprozesse und gleichzeitigen Eroberungsfeldzüge der Natur aussehen, beschreibt er anhand einiger Beispiele von schon heute unbevölkerten Flecken, darunter der letzte europäische Urwald an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland, die neutrale Zone zwischen dem türkischen und dem griechischen Teil Zyperns oder die demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea. Sogar in der radioaktiv verseuchten Umgebung um Tschernobyl zeigt die Natur enorme Selbstheilungskräfte.

Einige Lebewesen bekämen dagegen ohne die Menschen große Probleme, weil sie sich an unsere Nachbarschaft angepasst haben ­ etwa Kopfläuse, Ratten oder Kakerlaken. Auch von Menschen geschützte und gepflegte Nutzpflanzen würden im gnadenlosen evolutionären Konkurrenzkampf verlieren.

Weismans Schilderungen überzeugen mit einem enormen Detailreichtum, der manchmal zu ausführlich daherkommt. Der Autor verliert sich nicht in vagen Vermutungen, sondern stützt sich auf Einschätzungen von Biologen, Physikern, Geologen, Architekten und Ingenieuren. Nicht umsonst wurde der dem Buch zu Grunde liegende Artikel «Earth without people» für die angesehene Sammlung «Best American Science Writing» im Jahr 2006 ausgewählt. Das Buch ist mehr als reine Fiktion, es verknüpft Vermutungen über die Zukunft mit einem Rückblick auf den bisherigen Verlauf der Evolution. Über die Zukunft nachdenken heißt somit auch, die Vergangenheit und die Gegenwart zu begreifen.

Alan Weisman: Die Welt ohne uns.

Eine Reise über eine unbevölkerte Erde.

Piper Verlag, München

384 S., Euro 19,90

ISBN 978-3-4920-5132-3