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Einar Schleef Einar Schleef: «Ich will in der DDR leben und nicht vergammeln»

Von Wilfried Mommert 17.07.2006, 09:59
Der Künstler und Regisseur Einar Schleef starb 2001. (Foto: dpa)
Der Künstler und Regisseur Einar Schleef starb 2001. (Foto: dpa) dpa/dpaweb

Berlin/dpa. - Für den Suhrkamp Verlag sind die Tagebücher «das dritte Hauptwerk des Autors» nach «Gertrud» (1980/1984) und «Droge Faust Parsifal» (1997).

Schleef hat bis zu seinem Tod 2001 daran gearbeitet und immerwieder Ergänzungen und aktualisierte «Rückblenden» eingetragen. DieVeröffentlichung der Tagebücher ist auf fünf Bände angelegt. Dererste Band «Tagebuch 1953-1963 Sangerhausen» erschien 2004. Der jetztvorliegende zweite Band «Tagebuch 1964-1976» zeichnet SchleefsErfahrungen vor allem am Berliner Ensemble mit Ruth Berghaus («dasTheater, das ich wie die Pest hasse», notierte er 1999) bis zu seinemWechsel in den Westen nach.

Seinen damaligen Entschluss, nach den Behinderungen seiner Arbeitin der DDR in den Westen zu gehen, begründete Schleef in einemundatierten Brief an das DDR-Kulturministerium und an das BerlinerEnsemble im Jahr 1976 - jenem Jahr, in dem Wolf Biermann aus der DDRausgewiesen wurde und viele Künstler wie Schleef um ihr Verbleiben inder DDR unter anderen Bedingungen kämpften. «Ich will in der DDRleben und arbeiten, nicht vergammeln!» heißt es in dem Brief. «Ichbin kein Einzelfall... hier geht es um eine Generation, um dieGeneration, die in der DDR aufgewachsen ist! Als DDR-Kinder haben wireinen Anspruch!»

In einem im Februar 2001 niedergeschriebenen Kommentar zu seinendamaligen Tagebucheintragungen 1975/76 über die Querelen und Intrigenmit DDR-Theaterleitern, Kollegen und Kulturfunktionieren schriebSchleef wenige Monate vor seinem Tod resignierend: «DiesePersonalpolitik bleibt eh gleich, egal, wer am Ruder, um Kunst geht'snie, nur Macht, Kunst ist stets das ausgesprochene Störelement,hierin sind die unterschiedlichen Kräfte einig, die sich gegenseitigan die Gurgel wollen. Kunst muß, falls sie überhaupt noch entsteht,im Keim erstickt werden, alles andere stellt die eigene Positionsofort in Frage.» Da gebe es auch den Konflikt «Jung gegen Alt,Brechtschüler gegen Nichtbrechtschüler, Parteigebundene gegenNichtparteigebundene».

Kritisch geht Schleef aber auch mit sich selbst ins Gericht undwirft 2001 eine Frage auf, die Intellektuelle bis in die Gegenwartimmer wieder beschäftigt: «Es ist mehr der eigene Verfall, dem hiernachgetrauert wird... eine andauernd unkorrekte Haltung, die sichletztendlich Brigitte Reimann vorzuwerfen hat, Kritik und Mitmachen,Kunst und Verrat, wie verträgt sich das? Eine von vielen aufgeworfeneSchuldfrage ist zu beantworten, ist der Parteihengst nicht vielweniger schuld als der Intellektuelle, der seine Fehltritte zynischbelächelt, der nicht eingreift, sondern sich aus Bequemlichkeit dazuhergibt, ebenso mitzumachen... wo bleibt die eigene Konsequenz.»

Über die Arbeit am Theater zog Schleef die für sich bittereBilanz, dass kein Theater, auch im Westen nicht, die Arbeit seinerKünstler schätze und anerkenne. «Überall Machtgier, Machtausübung, inprimitivster Form, vollkommen rückschrittlich, was sich keinWirtschaftsbetrieb leisten dürfte, sonst droht Bankrott, im Theaternicht, für wen spielen eigentlich die Theater, für Zuschauer. Nein.»

Schleefs Rückblick ist allein auf ihn bezogen nicht gerecht. Erhat Theatergeschichte geschrieben, nach seinen rebellischen Arbeitennoch im Berliner Ensemble der DDR auch am Frankfurter Schauspiel(«Vor Sonnenaufgang» unter Günter Rühle) oder an der Wiener Burg(«Sportstück»). Und wieder am BE unter Heiner Müller und Peter Zadekmit der furiosen Uraufführung von Rolf Hochhuths «Wessis in Weimar» -gegen den Protest des Autors und schließlich am Deutschen Theater inBerlin ein Jahr vor seinem Tod mit der Döblin-Collage «VerratenesVolk». Über den Proben zur Jelinek-Uraufführung «Macht nichts» am BEist Schleef gestorben.

Einar Schleef: Tagebuch 1964-1976
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main
480 S., Euro 30,00
ISBN 3-518-41758-4