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Eberhard Jäckel wird 75 Jahre alt Eberhard Jäckel wird 75 Jahre alt: Historiker mit moralischem Anspruch

Von Martin Oversohl 23.06.2004, 07:05
Der Historiker Eberhard Jäckel feiert am 29.06.2004 seinen 75. Geburtstag (Archivfoto vom 19.06.1999). Eberhard Jäckels Leben ist ein Blick zurück. Die Wissenschaft um Hakenkreuz und Reichsadler hat den Hitler-Historiker begleitet, beschäftigt und berühmt gemacht. Und seine Kenntnis um das Grauen vergangener Zeiten nutzt der Wahl-Stuttgarter mit moralischem Anspruch und warnend gehobenem Finger wie kaum ein anderer, um seine Zeitgenossen aus der Geschichte lernen zu lassen. (Foto: dpa)
Der Historiker Eberhard Jäckel feiert am 29.06.2004 seinen 75. Geburtstag (Archivfoto vom 19.06.1999). Eberhard Jäckels Leben ist ein Blick zurück. Die Wissenschaft um Hakenkreuz und Reichsadler hat den Hitler-Historiker begleitet, beschäftigt und berühmt gemacht. Und seine Kenntnis um das Grauen vergangener Zeiten nutzt der Wahl-Stuttgarter mit moralischem Anspruch und warnend gehobenem Finger wie kaum ein anderer, um seine Zeitgenossen aus der Geschichte lernen zu lassen. (Foto: dpa) dpa

Stuttgart/dpa. - Eberhard Jäckels Leben ist geprägt vom Blickzurück. Die Forschung um Hakenkreuz und Reichsadler hat denHistoriker begleitet, beschäftigt und berühmt gemacht. Und seineKenntnis um das Grauen dieser Zeit nutzt der Wahl-Stuttgarter mitmoralischem Anspruch wie kaum ein anderer, um seine Zeitgenossen ausder Geschichte lernen zu lassen. Am kommenden Donnerstag (29. Juni)wird der international renommierte Wissenschaftler 75 Jahre alt.

Jäckel hat seinen ganz besonderen Teil dazu beigetragen, dass dieErinnerung an die Verbrechen Nazi-Deutschlands nicht vergessen undverdrängt wird. Er suchte dazu nicht selten den Weg auf den TV-Schirm und als streitbarer Gast auch in die Talkshows. SeineForschungsgebiete - das Deutschland des 20. Jahrhunderts und vorallem die Hitler-Jahre - machten es ihm dabei sicherlich leichter. ObBeutekunst oder Zwangsarbeiter-Entschädigung, Historikerstreit oderHolocaust-Mahnmal - Jäckel war und ist ein kompetenter und gerngesehener Gast in aktuellen Diskussionsrunden.

Der Ingenieurssohn aus Wesermünde fand seinen Weg nach dem ZweitenWeltkrieg zunächst an die Universitäten von Göttingen und Tübingen,Gainesville (Florida) und Paris. Mitte der 50er Jahre promovierteJäckel in Freiburg, 1961 habilitierte er in Kiel, sechs Jahre späterübernahm er als Nachfolger von Golo Mann eine Professor für NeuereGeschichte an der Universität Stuttgart. Den Schwaben blieb er dreiJahrzehnte treu. Unter anderem als Direktor des HistorischenInstituts machte er die Universität der Landeshauptstadt zu einemZentrum für Zeitgeschichte. Lediglich für Gastprofessuren zog esJäckel nach Indien, ins englische Oxford und nach Tel Aviv (Israel).

Auf seine wissenschaftliche Fahne hatte sich Jäckel in all diesenJahrzehnten die Hitlerforschung geschrieben. NS-Zeit, Völkermord anJuden, Roma und Sinti, vor allem aber den Umgang der Deutschen mitdieser Vergangenheit machte er zu den bevorzugten Themen seinerForschung. Seine Analyse «Hitlers Weltanschauung» sorgte 1969 und alserweiterte Ausgabe 1981 für Aufsehen, 1980 erschien die gewichtigeQuellensammlung «Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924». Dochauch Jäckel musste erkennen, dass die Geschichtsforschung nichtunfehlbar ist: In seine Sammlung gerieten Werke aus derFälscherwerkstatt des später als Hitler-Tagebuchautor bekanntgewordenen Konrad Kujau. Nach dem Erscheinen der angeblichen Hitler-Tagebücher 1983 im «Stern» gehörte Jäckel dann zu den erstenFachleuten, die die Authentizität der vermeintlichen Sensation inFrage stellten.

Für die gemeinsam mit der Journalistin Lea Rosh erstellten vierDokumentarfernsehfilme «Der Tod ist ein Meister aus Deutschland»erhielt Jäckel 1990 den Geschwister-Scholl-Preis. In mehrjährigenRecherche- und Dreharbeiten hatten sie sich der Themen Deportationund Ermordung der Juden in Europa angenommen, später stritten sieauch öffentlich erfolgreich für ein nationales Holocaust-Mahnmal inBerlin. Gemeinsam mit Peter Longerich und Julius Schoeps gab Jäckelzudem die «Enzyklopädie des Holocaust» (1993) heraus, die in dreiBänden und mit rund 1000 Stichwörtern als Standardwerk fürNeuhistoriker gilt. Jäckels Band «Das deutsche Jahrhundert» (1996)schließlich wird von der Kritik lobend als «Anti-Goldhagen»eingestuft - zuvor hatte sich der Historiker als einer derlautstärksten Kritiker des US-Sozialwissenschaftlers Daniel Goldhagenund dessen These von den Deutschen als «Hitlers willige Vollstrecker»hervorgetan.

Öffentlich ist Jäckel nach wie vor aktiv, unter anderem seit Endeder 60er Jahre als SPD-Mitglied sowie als Betreuer der monatlichenGeschichtszeitschrift «Damals».