"Durch die Nacht mit." auf Arte "Durch die Nacht mit." auf Arte: Oliver Polak und Haftbefehl haben sich nicht viel zu sagen

Köln - Seit 2002 gibt es dieses Format, und es funktioniert denkbar einfach. Zwei Protagonisten, die in unterschiedlichen Bereichen bekannt und mitunter sogar berühmt sind und sich idealerweise nicht persönlich kennen, werden in einer Stadt oder in einem Großraum aufeinander losgelassen und dürfen in einer Stretch-Limousine durch die Gegend gondeln. Hier, da und auch dort wird angehalten, und irgendwo wird dann auch eingekehrt. Um zu essen, zu trinken und schließlich den gemeinsamen Tresensteher-Test zu absolvieren. „Durch die Nacht mit…“ heißt die Miniatur-Talkshow und Begegnungsreihe auf arte (Sonntag, 23.10 Uhr), und in der Jubiläumsfolge zur 125. Ausgabe des Formats treffen der Stand-up-Comedian und Autor Oliver Polak und der Gangster-Rapper Haftbefehl aufeinander. Die Orte des Zusammentreffens: Offenbach, die Geburtsstadt von Haftbefehl, mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan, und Frankfurt am Main.
Zu letzterer Stadt hat Oliver Polak als reisender Artist im Laufe der Jahre eine besondere Beziehung aufgebaut. „Ich habe eine Liebe zu Frankfurt entwickelt“, sagt er, „diese Mischung aus Ghetto, Popkultur, Nutten und Heroin: toll“. Ein vielversprechender Auftakt, der sich auch fortsetzt, als sich Polak und Haftbefehl das erste Mal von Angesicht zu Angesicht begegnen. An einem Kiosk am Frankfurter Osthafen passiert das, und in diesem Augenblick hat Polak wohl nicht nur die Liebe zur Stadt, sondern auch eine Portion Ironie intus. „Schokolade gab’s nicht – aber ich hab’dir Blumen mitgebracht.“ Woraufhin Haftbefehl erst mal baff ist und eine Bockwurst ordert.
Der Mann ist Gangster-Rapper, Chabo, Babo, Chef-Bescheidwisser, arbeitet aus Berufsgründen so inflationär wie professionell mit Gewaltandrohungen gegen ein unbestimmtes Gegenüber („Bevor ich komm und dir die Nase brech’… Nicht link von hinten, ich hau dich frontal“; aus „Chabos wissen wer der Babo ist“), ist gläubiger (aber nicht praktizierender) Moslem und bekommt Blumen. Vom jüdischen Oliver Polak. Geht gar nicht. „Altaaa“, sagt Haftbefehl, und dann ist die Wurst alle, aber noch jede Menge Sendezeit da. Wohin also und was tun? Leider etwas Naheliegendes machen und dahin, wo Haftbefehl, das rappende Klischee auf zwei Beinen, auch fast mal gelandet wäre: Es geht in den Knast. Aykut Anhan ist Schulabbrecher, hat mit Drogen gehandelt und eine Lehre schnell wieder sein gelassen, und wegen eines Haftbefehls gegen ihn flüchtete er 2006 in die Türkei. Nach Zwischenstationen in den Niederlanden fing er mit Anfang 20 mit der Musik an, schrieb erste Texte und steht heute mit 29 bei der Plattenfirma Universal Music unter Vertrag. Und im Fernsehen zusammen mit Oliver Polak vor der JVA Preungesheim.
Wer ist Udo Jürgens?
„Wir sind von arte“, nölt Haftbefehl am Einlass, bevor es zur Leibesvisitation für Besucher geht. Polak versucht’s weiter mit Ironie – „Abtasten. Manchmal macht mich das richtig geil, versehentlich“– und könnte sich für ein Salär von 10.000 Euro durchaus vorstellen, eine Woche im Knast zu verbringen. „Aber nur, wenn du bei mir bleibst“. 38 ist Polak, als der Ältere der so verschiedenen Generationsgenossen wirft er gleich mehrfach das Stöckchen. Und will spielen. Aber Haftbefehl mag partout nicht mitspielen, er hat andere Pläne. Und vor allem: eine Tüte mit Kippen dabei. Logo, dass er im Knast einen kennt, dem er die Zigaretten schenken will. Blöde bloß, dass der Justizbeamte nicht einfach so zulassen kann, dass Haftbefehl seinen Buddy in dessen Haft einfach mal so besucht. „Und wenn wir zufällig an seiner Zelle vorbeigehen?“ Keine Chance. „Krass, Altaaa.“
Zurück in der Stretch-Limo. Bevor es zum richtigen Dinner geht, gibt’s im „geiler Schlitten, Altaaa“ (ein Mercedes S 600) nach einem Halt an einer Fressbude erst einmal Döner für zwei. Als Zuschauer ahnt man schon zu diesem Zeitpunkt: Aus einem gemeinsamen Spiel der beiden Protagonisten wird nichts. Wenn überhaupt bei der Begegnung von Polak und Haftbefehl noch so etwas Ähnliches wie Spannung und eine Portion Unterhaltung entstehen soll, dann daraus, den beiden beim Scheitern aneinander zuzusehen. Musik könnte ein verbindendes Große-Jungs-Thema sein. Ist es aber nicht. Polak hört Indierock, Elektro und verehrt Udo Jürgens. Den kennt Haftbefehl nicht. „Komm, verarsch mich nicht“, sagt Polak. Macht er nicht. Haftbefehl verarscht ihn nicht. Leider. Der meint das ernst. Und hört The Notorious B.I.G., Jay Z und 50 Cent: „New York. Altaaa“.
Mittlerweile mit der Stretch-Limo in Offenbach angekommen, ist Haftbefehl ganz in seinem Element. Hier ist seine Hood, hier sind seine Homies. Und Polak ist nur ein kleiner Nebendarsteller. Auf einem Rummelplatz in Offenbach ist Haftbefehl bekannter als jeder bunte Hund. Hier kennen sie ihn, hier vergöttern sie ihn. Auf der Kirmes ist er King. Erst recht, als er für 50 Euro Chips für ein Fahrgeschäft springen lässt. Die Folgen: kreischende Teenie-Mädchen. Grenzenlose Bewunderung von Jungs, für die das schöne altmodische Wort „Halbstarke“ noch gestrunzt wäre. Selfies, bis die Smartphones SOS funken.
Die Müdigkeit gewinnt
Der Chauffeur hat den Wagen wieder auf die Straße gebracht, als Haftbefehl aufs Finanzielle zu sprechen kommt. „Was verdienst du mit deiner Comedy?“, will er wissen, und auch, ob Polaks Eltern (der Vater hat als deutscher Jude den Holocaust und die Internierung in mehreren Konzentrationslagern überlebt) reich sind. Warum? „Na, Juden sind doch immer reich.“ Polak bleibt ruhig, erklärt Haftbefehl, was antisemitische Gedanken sind und gibt dem Rapper auch so raus: „Wenn ich reich wäre, würde ich nicht mit dir hier rumfahren, sondern wäre auf Hawaii.“
Reden tun die beiden Männer miteinander, ein Gespräch entsteht immer noch nicht. Auch dann nicht, als Polak seine persönliche Geschichte anspricht, die hinter „Der jüdische Patient“ steht. In dem Buch erzählt der Komiker von den Erlebnissen während seiner Therapie aufgrund einer Depression, es ist ein ein Frontbericht aus der Psychiatrie und ein Tagebuch aus den Synapsen von Polak. Und es zeigt, wie Polak unterwegs ist – ganz gleich, ob er als Stand-up-Comedian oder als Berichterstatter von selbst Erlebtem agiert: Sein Humor erwächst stets aus Schmerz und Tragik, und sein Humor macht vor nichts und niemandem Halt, schon gar nicht vor sich selbst.
Depressionen? Hatte Haftbefehl auch mal: „Echt ekelhafte Sache. Auch die ganzen Medikamente und so“. Wenn jemand oft Pech beim Denken hat, ist das die eine Sache. Zu sehen, dass ihn das nicht die Bohne stört und deshalb das Selbstbewusstsein extrem stabil bleibt, ist die andere. „Asozial, hart, direkt ins Gesicht!“, so beschreibt Haftbefehl (der Ausdruck Babo = Vater, Chef aus seinem größten Hit fand Eingang in die Jugendsprache und wurde 2013 sogar zum Jugendwort des Jahres gewählt) seinen Rap. Immerhin: Da liegt er richtig. Polak und der Rapper kehren dann noch in einem Restaurant ein, das ein Kumpel von Haftbefehl führt. Auf dem Teller: viel Fleisch. Im Gespräch: wenig Substanz. Müdigkeit macht sich breit. Haftbefehl gähnt. „Schlafen ist Beste“, sagt er in seiner ganz eigenen, so reduzierten wie verkümmerten Sprache. „Könnt’ isch ganzen Tag.“
Danach: Verabschiedung. Ob der Offenbacher Rapper Haftbefehl und der Berliner Stand-up-Comedian Oliver Polak auch nur ein bisschen miteinander können, weiß man auch nach rund 50 Minuten nicht. Aber sie tauschen Handynummern aus. Warum auch immer. Polak darf zurück in die Stretch-Limo, Haftbefehl wird abgeholt und steigt ebenfalls in ein beeindruckendes Auto. Noch größer als diese Angeber-Karre ist aber etwas anderes: Die Leere in seinem Gesicht. Schlafen ist Beste. Word.