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Dostojewski und die Deutschen Dostojewski und die Deutschen: Botschafter der «russischen Seele»

Von Burkhard Fraune 02.02.2006, 11:24

Hamburg/dpa. - Tief und geheimnisvoll ist die russische Seele.Schwer und träumerisch, widersprüchlich und irrational,melancholisch, aber auch unruhig und empfindsam - so beschreibenDeutsche immer wieder die Russen. Oft scheint dabei FjodorDostojewski durch. Denn der Autor aus dem Zarenreich war hier nichtnur außerordentlich erfolgreich, sondern er hat in deutschen Köpfentiefe Spuren hinterlassen - auch wenn er selbst bei seinen Besuchenin Deutschland zuweilen kräftig über seine Gastgeber her zog.

«Ein Buch, das wirklich anrührt und die russische Seeleeindrucksvoll beschreibt», hat ein Leser von «Erniedrigte undBeleidigte» auf der Seite des Internet-Buchhändlers Amazon notiert.«Wenn wir uns ihm überlassen, erahnen wir etwas von der Weite derLandes und von der Verlorenheit der Menschen», schwärmt derDostojewski-Verleger Egon Ammann.

Der tiefsinnige Russe, der aufmüpfige Student, Sehnsüchte undWahnvorstellungen - das sind Motive aus Dostojewskis Büchern, die imheutigen Bild der Deutschen von der russischen Seele weiter präsentsind, meint Horst-Jürgen Gerigk, der Ehrenpräsident derInternationalen Dostojewski-Gesellschaft. «"Verbrechen und Strafe","Der Idiot", "Die Dämonen", "Die Brüder Karamasow" und das sibirische"Totenhaus" gehören längst zum festen Bestand unserer Kultur.»

«Viele Deutsche, die im 19. Jahrhundert nach Russland gingen,brachten den Begriff von der "russischen Seele" herüber», erklärt derPotsdamer Slavist Norbert Franz. Die junge russische Nation strittunter diesem Schlagwort über ihre Identität zwischen den kulturellenPolen Europa und Asien. Dieser innere Kampf spiegele sich inDostojewskis Romanen. Doch vom Kitt für den Vielvölkerstaat ist die«russische Seele» inzwischen zum Werbefaktor geworden. «Heute wirbtman mit dem Slogan "Erleben sie die russische Seele" für CD-Sammlungen», sagt Franz. «Die russische Seele ist ein eingeführtesMarkenzeichen.»

Während die Welt bei Dostojewski die deutschen Leser fasziniert,lernte dieser Deutschland, sein mehrmaliges Gastland, nie richtigschätzen. Sein Kurort Bad Ems schien im «scheußlich», Berlin erst«sauertöpfisch», dann immerhin «süßsauer». Auch in Baden-Baden undBad Homburg wurde Dostojewski nicht glücklich. In Briefen nachRussland schimpft der kranke Autor über die Deutschen, die er fürdumm, kleinlich und niederträchtig hält, für roh und hundsgemein. Erstellt den Deutschen ein leuchtendes Bild des einfachen Russen ausdem Volk gegenüber.

Doch die Zeit in Deutschland war wichtig für Dostojewskis Werk.Hier quälte ihn die Spielsucht, hochverschuldet musste er sicherniedrigen lassen. In Wiesbaden kam das erste Kapitel von «Schuldund Sühne» aufs Papier, Dostojewskis Casino-Erfahrungen inDeutschland führten zu «Der Spieler». In Dresden entstanden großeTeile von «Die Dämonen», «Der Jüngling» im Kurort Bad Ems an derLahn.

Der Einfluss des Russen auf deutsche Schriftsteller ist groß.«Nietzsche vermerkt, Dostojewski sei der einzige Psychologe, von demer etwas zu lernen hatte», erklärt Gerigk. Dostojewski strahle ausauf Franz Kafka, Hermann Hesse, Alfred Döblin, Martin Walser undThomas Bernhard. Norbert Franz merkt sogar ironisch an: «Wenn sieerst Dostojewski lesen und dann den Zauberberg von Thomas Mann, dannfragen sie sich: Was hat der Mann eigentlich selbst gemacht?»

Die Gelehrten zwischen Rhein und Oder faszinierte der «vertrackteRusse», wie Siegmund Freud ihn nannte und wie Gerigk sein Buch überDostojewskis Wirkung in Deutschland betitelte. «Da verspürt manLücken und zurückgelassene Rätsel», schrieb der Psychoanalytiker anden Schriftsteller Stefan Zweig. Dieser wiederum notierteverstört: «Dostojewski schreibt im Fieber, wie er im Fieber denkt, imFieber lebt.» Unverändert ist, was nach Ansicht des FreiburgerBuchhändlers Thomas Bader die Leser auch heute noch zu Dostojewskibringt: «Der legendäre Name und eine russische Welt, die ungeheuerfaszinierend und auch irritierend ist.»