Dorfkirchen Dorfkirchen: Die Leuchttürme der Heimat
BERNBURG/MZ. - Eher traf zu, was die Harzgeröder Pfarrerin Anke Dittrich als durchschlagenden Spenden-Sammelerfolg bei den Leuten ihres Städtchens beschrieb: "Man muss die Kirche wieder auf den Marktplatz bringen."
Der unerschrockene Tatendrang der Rheinländerin, gepaart mit herkunftsbedingtem Frohsinn, ließ sie vor einem Jahr nicht verzweifeln, als 5 000 Euro binnen 13 Tagen zur Rettung des maroden Glockenstuhls aufzubringen waren. Ein Gerüst war zwecks Dachsanierung aufgestellt und hatte den Schaden vor Augen geführt, der nun sofort und zeitgleich mit dem Dach zu reparieren war. Pro Nase, schrieb sie in einem Brandbrief an jeden Haushalt, würde ein Euro genügen, um das endgültige Verstummen der Glocke zu verhindern.
Und siehe da - fristgerecht hatten alle Bürger vom Schulkind bis zum Betriebschef nicht 5 000, sondern mehr als 20 000 Euro gespendet. Das reichte, um obendrein die goldene Turmkugel zu restaurieren, die nun jeder Einwohner von Harzgerode als sein Eigentum vorzeigen, und dazu bei jedem Glockenschlag stolz sein kann. "Man muss den Leuten etwas zutrauen", sagt die Pfarrerin aufmunternd in die Runde von gut 100 ehrenamtlichen Dorf-Kirchenfreunden, "nur so hat man eine Chance."
Tatsächlich spricht sie zu Bekehrten, denn die Tagung war zum Mutmachen unter Gleichgesinnten da. Überzeugte Landbewohner sehen in Dorfkirchen, in denen der Pfarrer alle paar Wochen predigt, keineswegs das Fanal von Entleerung und Schrumpfung ganzer Landschaften. Dass es bitterernste Gründe für Untergangsszenarien gibt, das belegte der Ministerialbeamte Wilfried Köhler aus dem Ressort Landesentwicklung mit nüchternen Stichworten. "Überproportionale Alterung", "Funktionsverlust des ländlichen Raums", "Abwanderung in die Städte" führten ihn zu der Warnung: "Wenn wir es nicht schaffen, die nächste Generation in den Dörfern zu halten, wird es sehr schwierig." Wie vielsagend daher, dass es vor allem Neubürger, Zugezogene und Gebildete überwiegend mittleren Alters sind, die das Landleben retten wollen - freilich nicht mehr im bäuerlichen Ringen mit der Natur, sondern weil sich Städter nach ländlicher Gemeinschaft sehnen.
Da schafft man sich im Kirchenkreis Zerbst langfristiges Stiftungskapital für "Entschlossene Kirchen", die offen sind nicht nur für Gott- sondern auch Kunst-, Kultur- und Ruhesucher. Der Verein sieht in der offenen Tür den Glauben an das Gute an sich, ein Mittel, sich gegen Vandalismus oder Diebstahl zu immunisieren. In immer neuen Ideen, Kirchen für jedermann interessant zu machen, wollen sie entleerten geistlichen Räumen Inhalte geben - Museum für Gesangbücher zum Beispiel, Radfahrerstätte, Solarkraftwerk.
Und so wird offenkundig, dass in Zeiten weltlicher Sinnsuche die immer zahlreicheren Freunde der Dorfkirchen längst nicht mehr allein aus christlichem Geist heraus um das Überleben einer bedrohten Spezies von Denkmalen kämpfen.
Die Kirche als Institution ist für sie nur noch Partner unter anderen. Deren Zuständigkeit für den "geweihten Raum" wird durch das Engagement kirchlich ungebundener Förderer relativiert. In einem Drittel aller ostdeutschen Kirchbau-Fördervereine, hat Pfarrerin Grietje Neugebauer in einer Forschungsarbeit an der Uni Halle herausgefunden, haben kirchenferne Mitglieder die Mehrheit.
Da tut sich für die Kirche plötzlich das ethische Problem auf, ob für einen verstorbenen Förderer, der kein Gemeindeglied gewesen ist, die Totenglocke geläutet werden darf. Die Bürgervereine wissen, dass sie Lobbyarbeit machen müssen. Vorschläge stießen auf offene Ohren, die der Sprecher der "Initiativgruppe für ein Netzwerk der Kirchbauvereine", Wolfgang von Richter, ausbreitete.
In anderen Bundesländern hat man schon gute Erfahrung mit koordinierter Öffentlichkeitsarbeit und gemeinsamem Fundraising gemacht. Wo Bürger sich für die Dorfkirchen einsetzen, wandelt sich ihre Daseinsberechtigung: vom Heiligtum einer Glaubensgemeinschaft zum "letzten öffentlichen Gebäude" im Dorf. Der Kirch- wird zum Leuchtturm einer Heimat, die zum Überleben das Miteinander von Neubürgern und Alteingesessenen braucht.
So etwa, wie es der "Coyote e.V." im zerbst-anhaltischen Ort Deetz versucht, der unter den Bewohnern Fähigkeiten und Talente aufspürt. "Gib den Menschen das Gefühl", sagen sie, "von ihrem Dorf gebraucht zu werden."