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Dokumentation über jüdische Familiendynastie erschienen Dokumentation über jüdische Familiendynastie erschienen: Unangenehme Wahrheiten berührt

Von Paul Spengler 22.11.2002, 14:10

Bernburg/MZ. - Die Schrift "Spuren der jüdischen Anverwandten des Kanzlers Helmut Schmidt", herausgegeben vom Museum Schloss Bernburg, ist ein Blick in eine Familiensaga. Eine Ahnentafel im hinteren Klappentext erleichtert den Überblick. Die Texte werden aber vor allem dadurch fassbar, weil spürbar nachzuvollziehen ist, wie eine hoch angesehene Bernburger Familie bereits ab 1933 übelster Hetze ausgesetzt ist und aus der Saalestadt vertrieben wird.

Jacob Gumpel (1815 bis 1882) und seine Ehefrau Fanny, geb. Fließ (1825 bis 1888) waren die jüdischen Urgroßeltern von Helmut Schmidt. Sie entschlossen sich 1853, in Bernburg ein Textilhaus zu eröffnen. Dazu erhielten sie von der Herzoglichen Regierung des Landes Anhalt-Bernburg die Genehmigung für den Verkauf von Damenmänteln und so genannten "Mantillen".

Deren Sohn Ludwig Gumpel (1860 bis 1935) begründete gemeinsam mit seinem Cousin Wilhelm Samson eine Privatbank in Bernburg. Aus einer vorehelichen Beziehung mit einer lediglich mit den Kürzeln F. W. (1867 bis 1949) genannten Angestellten aus Hamburg ging Gustav-Ludwig Schmidt (1888 bis 1981) hervor, der Vater des späteren Bundeskanzlers. Gustav-Ludwig Schmidt war als Diplom-Handelslehrer in Hamburg tätig. Der leibliche Vater hat seinen unehelichen Sohn seinerzeit verleugnet, um nicht ins Gerede der Saalestadt zu kommen.

Die familiären Wurzeln von Helmut Schmidt nach Bernburg sind nicht nur für professionelle Historiker eine bemerkenswerte Nachricht. Schon 1994 hatte ein Werk der Autoren Gerrit Aust und Irmgard Stein ("Gumpel, Wenzel, Schmidt: die unbekannten Vorfahren von Helmut Schmidt", Verlag Dölling und Galitz, Hamburg) darauf aufmerksam gemacht.

Besonders beklemmend wird das Schicksal des Bankiers Dr. Max Gumpel (1901 bis 1966) beschrieben. Er wurde schon 1933 von den Nazis aus rassistischen Gründen erstmals in "Schutzhaft" genommen. 1935 wurde seine Bank von den Nazis enteignet. 1936 wurde in den Räumen der ehemaligen Privatbank Gumpel & Samson eine Zweigstelle der Stadt- und Kreissparkasse Bernburg eröffnet. Max Gumpel zog mit seiner Frau Inge geb. Thieß, einer Nichtjüdin aus Anhalt, zunächst nach Berlin, dann über Polen nach England.

Es gibt aber auch Beispiele von Menschen, die mutig geholfen haben. Bedrückend ist es zu lesen, wie die Mutter Max Gumpels, Hedwig geb. Leyser, sich im Jahre 1942 in Berlin verstecken musste. Franz Hartling, dessen Gärtnerei sich zwischen Bernburg-Roschwitz und Baalberge befand, versorgte sie heimlich mit Lebensmitteln, die er von dem Bauern Hans Hahndorf in Baalberge bekam. Als Frau Gumpel aus Berlin flüchten musste, nahm er sie von Juli bis November 1942 in Baalberge auf.

Am 26. November des gleichen Jahres wurde Hedwig Gumpel tot auf dem Grab ihres Mannes Ludwig auf dem Jüdischen Friedhof in Bernburg gefunden. Die 70-Jährige musste in der Nacht acht Kilometer zu Fuß gelaufen sein.

Max Gumpel, der nach dem zweiten Weltkrieg als britischer Offizier für einen einzigen Tag nach Bernburg kam, setzte durch, dass die achtlos vergrabene Leiche gefunden und an der Seite ihres Mannes bestattet wurde. Die Beschreibung der menschlichen Situationen machen eine solche Zusammenstellung wertvoll. Einen Teil der Bilder hat der Autor von Immanu-El Adiv (geboren 1927) erhalten. Die Tochter des Textilkaufmanns Paul Gumpel lebt heute in Israel. Frau Adiv, die mit ihren Erinnerungen zum Entstehen dieses Werkes beigetragen hat, hat einige Änderungswünsche angemeldet, die auf einem Beiblatt nachzulesen sind.

Überflüssig bei der Broschüre von Rolf Pohlmann sind dessen Spekulationen, wie denn wohl der Lauf der Dinge gewesen wäre, wenn die jüdischen Gesprächspartner des Staatsmannes Helmut Schmidt etwas von dessen nicht bekannten Wurzeln erfahren hätten. So etwas hilft der Aufklärung nicht weiter. Dass es nicht einfach ist, der Familiendynastie Gumpel gerecht zu werden, wird bei der Lektüre des Bandes jedoch verständlich.

Rolf Pohlmann: "Spuren der jüdischen Anverwandten des Kanzlers Helmut Schmidt", Herausgeber: Museum Schloss Bernburg, Preis 9,75 Euro,

ISBN 3-9807097-5-2