Dokumentarfilm Dokumentarfilm: Zwischen Routine und Schuldgefühlen
Halle/MZ. - Sieben Männer, Familienväterzumeist, erinnern sich. Mehr oder wenigeraufgewühlt, beschreiben sie die Tätigkeiteines ungewöhnlichen Berufsstandes: Sie warenHenker. Zu verschiedener Zeit, in verschiedenenLändern. Eines war allen gemeinsam: Sie habengetötet, im Namen des Volkes.
Die Dokumentaristen Jens Becker und GunnarDedio haben sechs Jahre lang in der 800-jährigenGeschichte der Todesstrafe recherchiert, habendie Männer ausfindig gemacht und mit ihnenlange Gespräche geführt. Einige brachen zumersten Mal ihr Schweigen - nicht mal engsteFamilienangehörige wussten Bescheid. Nun kommtder Dokumentarfilm "Henker - Der Tod hat einGesicht" in die Kinos, er enthält Interview-Szenen,Ausschnitte aus frühen Filmdokumenten undin einem Fall ein TV-Interview von 1992. Dasführte Roger Willemsen mit Hermann Lorenz,dem letzten DDR-Henker, der zwischen 1968und 1980 etwa 20 Mörder und Spione durch Genickschusshinrichtete. "Für Gefühle war nicht viel Platz",sagt der ehemalige Beamte der JustizvollzugsanstaltLeipzig. Schuldgefühle hätten sich erst eingestellt,als er längst kein Henker mehr war.
Von Schuld ist bei Fernand Meyssonnier, demcharmanten Plauderer aus der Provence, nichtdie Rede. Beinahe zärtlich fährt er über dieGuillotine, Prunkstück des von ihm zusammengetragenen Museums, erläutert die Wirkungsweiseseines Arbeitsgerätes. Mit dem hat er - infranzösischem Auftrag - in Algerien etwa 200Menschen getötet. Wir lernen: Eine Hinrichtungdauert drei Sekunden. Manchmal trifft dasFallbeil derart, dass sich ein Blutschwallüber den Henker ergießt. Manchmal, wenn fünfMenschen kurz nacheinander getötet werden,weiß man nicht, welcher Kopf (er kommt ineinen Korb) zu welchem Körper gehört. Meyssonnierringt routiniert um öffentliche Anerkennungseines Handwerks. Der rumänische OffizierIonel Boeru hatte den Auftrag, Nicolae Ceausescu,seinen einstigen obersten Dienstherrn, zuerschießen. Reuf Ibrisagic musste an der Hinrichtungvon Strafgefangenen bei Sarajevo teilnehmen.Kommunistensohn Paul Sakowski wurde interniertund im KZ Sachsenhausen gezwungen, 34 Menschenzu hängen. Die Erinnerungen treiben den Vollstreckernnoch heute Schweiß auf die Stirn. Die Alpträumebewältigen sie unterschiedlich: Boeru hateine Scheidung hinter sich und wurde zum Oberstbefördert; Rentner Ibrisagic klammert sichunter Tränen an die Liebe seiner Frau; Sakowskilebt als gebrochener Mann im Altersheim.
Auch der Amerikaner Joseph Malta hat im Auftraggehandelt, als er 46 deutsche Kriegsverbrecherhängte. "Ich würde alles dafür tun, es nochmal machen zu dürfen", sagt er und erzählt,dass die Todeskandidaten nach langer Haftoft zu leicht für den Strick waren und ernachhelfen musste, "bis es klick macht". SechsGeschichten vom Töten. Sechs mehr oder wenigerstarke Einblicke in Biografien. Die Dokumentarfilmerhüten sich, die Aussagen ihrer Protagonistenzu kommentieren; ein Urteil über die zu fällen,die am Ende einer Kette stehen, die nur einZiel hat: den Tod. Manchmal geschieht Wertungdurch Blickwinkel, durch Schnitte. Insgesamtwird die aber dem Zuschauer überlassen. Dermuss nun sein Verhältnis zur Todesstrafe überdenken.
Filmstart am Donnerstag im Passage-Kino Leipzig.Um 20 Uhr findet dort ein Gespräch mit denAutoren Becker/Dedio statt. Das Buch zum Filmist im Verlag "Das Neue Berlin" erschienen.