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Die Stunde Null Die Stunde Null: Ein Buch über das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit

Von Andreas Montag 02.05.2017, 08:00
Wartende Frauen und deutsche Heimkehrer in Friedland (Niedersachsen)
Wartende Frauen und deutsche Heimkehrer in Friedland (Niedersachsen) DPA/Archiv

Halle (Saale) - Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit - soll uns das heute interessieren? Aber ja! Wir kommen ja alle von dieser Inszenierung her, als Kinder und Kindeskinder der damaligen Akteure. Begonnen hat das Trauerspiel mit „Heil Hitler“-Gebrüll, geendet hat es im Luftschutzkeller, wo die nachmaligen Trümmerfrauen um das Leben ihrer Kinder und ihr eigenes zitterten.

Autor und Dokumentarfilmer Florian Huber schreibt über die Situation in den Nachkriegsjahren

Und die Männer und Väter? Die siegeslüstern losmarschiert waren und als stoppelbärtige Wracks aus den Gefangenenlagern zurückkehrten, wenn sie denn nicht gestorben waren „für Führer, Volk und Vaterland“?

Es gibt keine wirklich verbindende Erzählung für das, was mit den deutschen Familien geschehen ist während der Zeit des Nationalsozialismus, des Krieges und nach der Stunde Null am 8. Mai 1945, die noch Jahre später auch an den Küchentischen in der DDR vielfach als „der Zusammenbruch“ bezeichnet worden ist.

Der Autor und Dokumentarfilmer Florian Huber hat jetzt ein Buch zum Thema vorgelegt, in dem er authentische Geschichten zu einem spannenden Erzählgewebe verknüpft, das die Situation in den deutschen Nachkriegsjahren plastisch werden lässt: „Hinter den Türen lauern die Gespenster“ heißt es und ist im Berlin Verlag erschienen.

Die Stunde Null: Gemengelage aus Mitschuld, Angst, Hunger, Leid, Verdrängung

Nie zuvor hatte es in der Geschichte der Deutschen eine solche Gemengelage aus Mitschuld, Angst, Hunger, Leid, Verdrängung und schließlich verzweifelter Entschlossenheit gegeben: Das Leben muss doch weitergehen. Und über kaum ein anderes Thema der Alltagsgeschichte ist ebenso fragmentarisch gesprochen wie ausdrucksstark geschwiegen worden.

Rainer Werner Fassbinders 1979 gedrehter Film „Die Ehe der Maria Braun“, den es erstaunlicherweise auch im DDR-Kino zu sehen gab (wohl, weil er vor dem West-Hintergrund zeigte, was es freilich auch im Osten gegeben hatte), ist eine der wenigen und glanzvollen Ausnahmen gewesen.

Florian Hubers Tatsachen-Buch zeigt entfremdete Ehepaare und Frauen als das zentrale Kraftfeld

Hanna Schygulla spielt darin eine lebenshungrige Frau, deren Mann vermeintlich an der Front gefallen ist und die eine Beziehung mit einem farbigen Besatzungssoldaten eingeht. Als der Deutsche überraschend heimkehrt und die beiden überrascht, erschlägt sie den Amerikaner, wofür Hermann (Klaus Löwitsch) die Schuld übernimmt.

Maria hält ihm die Treue, was sie nicht von einem Verhältnis mit einem Industriellen abhält, der Hermann allerdings zum Komplizen eines Deals zu ihrer aller Vorteil gemacht hat, wovon Maria nichts weiß. Am Ende werden sie und ihr Mann gemeinsam sterben - am Tag, als Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft des Jahres 1954 gewinnt und endlich wieder stolz auf sich ist.

In Hubers Tatsachen-Buch geht es nicht weniger dramatisch zu: Entfremdete Ehepaare treten auf. Die im sogenannten Lebensborn geborene Tochter einer Angestellten kommt zu Wort, die Mutter hatte sich in einen verheirateten SS-Offizier verliebt, der den Skandal scheute. Und die Witwe eines hingerichteten NS-Funktionärs, die ihre sechs Kinder durchbringen musste und ihnen vermitteln wollte, ihr Vater sei ein Ehrenmann gewesen.

Huber will gar nicht entscheiden, ob die Familie nach dem Krieg eher zerrüttet oder nicht vielmehr der Nukleus für eine neue, bessere Gesellschaft war. Eines aber unterstreicht er demonstrativ: „Die Frauen waren das zentrale Kraftfeld der Familie geworden. Ihre Männer und Familien aber waren durch den Krieg nicht mehr dieselben.“ (mz)

Florian Huber: „Hinter den Türen warten die Gespenster“, Berlin Verlag, 352 Seiten, 22 Euro