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Deutsches Historisches Museum Deutsches Historisches Museum: Europa, die ewige Rumpelkammer

Von Christian Eger 28.05.2003, 14:33

Berlin/MZ. - Warum eigentlich sollen wir Europa feiern, diese mythenumnebelte Königstochter? Ihr Schicksal bietet ja wenig Erbauliches: geraubt, entführt und festgehalten wider Willen. Den Kontinent, der ihren Namen trägt, hat sie nie betreten. Vom Götterkönig Zeus überrumpelt, wurde des Agenors hauchzarte Tochter vom vorderasiatischen Tyros weg über das Meer hin nach Kreta entführt. Zeus gab den Stier; Europa flog auf seinem Rücken übers Wasser.

Doch gegen mythologischen Budenzauber ist kein Kraut gewachsen, und so waren es die alten Griechen, die ihren Kontinent in Abgrenzung von Asien fortan Europa nannten - warum sie das taten, wurde ihnen schon bald selbst zum Rätsel. All diese kulturhistorisch wertvollen Anekdötchen wären uns heute kaum mehr als ein abwinkendes "Na, so was!" wert, wenn denn der Name "Europa" nicht für ein großes, schließlich globalpolitisches Projekt stünde, in dessen Namen stets erst der Kontinent und dann im Namen dieses Kontinents die ganze Welt erlöst werden soll. Wie noch immer im Namen des Wahren, Guten, Schönen - von Karl dem Großen über Napoleon bis hin zu Joschka Fischer. Allein diese Frage steht: Wer will hier wen wozu erlösen? Und war nicht auch - zynisch pointiert - Adolf Hitler ein großer Europäer, der ja seine Terror- gern als eine Weltfriedensordnung verkaufte?

Asiens Vorgebirge

Europa also: Ein Thema - und das nicht erst seit dem Versagen der europäischen Staaten im Vorfeld des Irak-Krieges. So tritt man mit einigem Interesse in jene Schau, die das Deutsche Historische Museum im neueröffneten Pei-Bau hinter dem Berliner Zeughaus präsentiert: "Idee Europa - Entwürfe zum ,Ewigen Frieden'". Drei Skulpturen grüßen im Entreé: Eirene, die Friedensgöttin der Griechen; Victoria, die Siegesgöttin der Römer, und deren Schwester, die Italia, vom Ara Pacis Bogen des Augustus.

Über neun Stationen führt der, ach, so lange europäische Museumbildungsweg an zahllosen Vitrinen vorbei: Vom Mythos her über den christlichen Kontinent, vom Revolutionsjahr 1789 bis hin zu Völkerbund, Paneuropa-Bewegung, Europäischem Parlament, auch Helmut Kohl fehlt am Ende nicht, nicht der Vertrag von Maastricht, erst recht nicht das Positive. Es wartet als ein antikes Relief: Kairos, derGott des "guten Augenblicks", ganz am Ende - allein wer am Ende ankommt, ist es selbst tatsächlich auch.

Denn das, was sich in dieser so hochtrabend präsentierten Schau ereignet, ist erneut der ganz gemeine museumsdramaturgische und konzeptionelle Ernstfall: Es reicht nicht nur, fast keine Idee zu haben, man darf auch nicht gewillt sein, sie auch nur irgendwie anregend auszudrücken. Kupferstiche, Gemälde und Schriftstücke, Skulpturen und Skulptürchen dicht an dicht; die Texte entweder zu klein oder zu weit oben angebracht; Vollständigkeit rangiert vor Dramaturgie; das wimmelnde Nebeneinander erzeugt ein Durcheinander, das alles Präsentierte gleichwertig macht; das Interesse, das einzelne Stücke hervorrufen, ist ein Dennoch-Interesse, rein feuilletonistisch. Je weiter sich die Ausstellung der Gegenwart nähert, um so staatsbürgerkundlich belangloser wird das Sammelsurium. Ja, das ist Hauptstadtniveau: Das Provinzielle hinter dem Logo "Berlin" versteckt. Oder hinter dem Namen des Stararchitekten I. M. Pei, der einen Bau geschaffen hat, der vor allem den Berlinern als Sensation gilt. Letzteres kann nur nach außen hin gelten: Die Schauräume sind in Beton gegossene Dunkelkammern.

Wo vor Bäumen kein Wald zu sehen ist, muss man die Bäume loben: Einzelne Schaustücke, kleine Zitate, wie jenes des Schriftstellers Paul Valéry von 1919. "Wird Europa zu dem werden, was eigentlich ist, nämlich ein kleines Vorgebirge des asiatischen Kontinents? Oder wird es bleiben, was es scheint, nämlich der edelste Teil des Universums, die Perle der Welt, das Hirn eines großen Körpers?" Offenbar hat derjenige, der von Europa redet, immer nur die Wahl zwischen Kleinmut oder Größenwahn; wer sich nicht für die Sache interessiert, tönt in ihrem Namen - oder schleppt sie ins Museum.