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Dessauer Oper Dessauer Oper: Schlangen «wie einst am Lenin-Mausoleum»

Von Andreas Hillger 13.11.2001, 16:51

Dessau/MZ. - Der Aufstieg in die Champions League provoziert neben Bewunderung auch Neid: Bei der Heimkehr vom ersten Auswärts-Sieg fand der Dessauer Generalintendant JohannesFelsenstein auf seinem Schreibtisch einen Artikel der Zeitschrift "Opernwelt", der vom Länderspiel der Tabellenführer aus München berichtete.

In Japan, so hatte der Autor recherchiert, würden derzeit Plakate für eine exotische Truppe werben, die sich unter anderem aufein zweijähriges Training unter dem großen Dirigenten Hans Knappertsbusch beruft. Dass dieses lange zurückliegende Intermezzo freilich kaum Spuren hinterlassen haben könnte, könne man nun bereits an den lächerlichen Eintrittspreisenvon umgerechnet bis zu 400 Mark erkennen.

Angesichts eines solchen Foulspiels weiß Felsenstein nicht, ob er - im Namen seines Ensembles - lachen oder zürnen soll. Denn tatsächlich hat er bei der Stippvisite in Tokio bei seinerOpern-Mannschaft einen Teamgeist angetroffen, den er bei den gewohnten Heimspielen nie für möglich gehalten hätte. Seit rund zwei Wochen touren Solisten, Orchester, Chor und Technik unermüdlich durch japanische Städte. Und alsgestern mit der achten Vorstellung die zweite Halbzeit der aufwändigen Reise begann, hatten rund 12000 Zuschauer die Felsenstein-Inszenierungen von "Salome" und "Der Fliegende Holländer" gesehen.

Dass eine solche einmalige Gelegenheit zum internationalen Leistungsvergleich mit derKomischen Oper Berlin, den Wiener Philharmonikern, dem Gewandhausorchester Leipzig oder eben der um herablassende Häme bemühten Bayerischen Staatsoper überhaupt zustande kam, verdankt der Regisseur nicht zuletzt dem eigenen, gutenNamen.

Natürlich weiß er, dass die Einladung auchdem Sohn des legendären Musiktheater-Reformators Walter Felsenstein galt, von dem man in Japan die Pflege der Familientradition erwartet. Und selbstverständlich ist er sich darüber im Klaren, dass er im eigenen Land weiterhinin einer anderen Liga spielen muss - allein der Tournee-Etat der Bayern lag in Japan mit 15 Millionen Mark mehr als doppelt so hoch wie das Dessauer Budget.

Umso stolzer stimmt den Hausherrn die Resonanz, die seine Lesarten von Richard Strauss und Richard Wagner bei den Japanern finden. Nach den ersten Vorstellungen seien die Solisten mit Fans konfrontiert gewesen, die in langen Schlangen "wie einst am Moskauer Lenin-Mausoleum" nach Autogrammen angestanden hätten.

Ein solcher Enthusiasmus beflügele zu Spitzenleistungen, die über das eigentlich Zumutbare hinausgehen. So muss die Sopranistin Eilana Lappalainen,die bei ihrer achten Japan-Vorstellung gestern zudem Geburtstag feierte, als Salome und als Senta in beiden Opern Haupt-Partien bewältigen. Und der Dirigent Golo Berg, der in der Ferne ebenfalls ein Jahr älter wurde, überlässtsein Pult lediglich bei einer "Holländer"-Aufführung einer japanischen Kollegin.

Nicht minder bemerkenswert findet Felsenstein, was die mitgereisten Techniker in Tokio undFukuoka, in Kumamoto und Nagoya leisten. "Von sieben Uhr früh bis Mitternacht" sei das Team im Dauerstress, weil die Bühnenbilder immer wieder neuen Spielorten angepasst werden müssten. Einzig die Lichtanlagen seien an allen Ortenidentisch, so dass eine zum Auftakt erstellte Diskette alle Stimmungen steuern könne. Der alltägliche Mehraufwand aber sei "nur im Laufschritt zu bewältigen" - einer für die Bühnenarbeiter inzwischen üblichen Fortbewegungsform.

Da auch der Gastgeber Yukio Mizota, Präsident der Japanischen Orchestervereinigung Tokio, bei einem Empfang nur lobende Worte für die deutschen Gäste fand, hofft Johannes Felsenstein nun auf eine positive Rückwirkung in Dessau.

Wenn die mehr als 200-köpfige Reisegesellschaft einen Teil jenes Selbstbewusstseins, das sie in Japan getankt hat, in ihren Alltag herüberretten kann, dürfte auch das Stammpublikum die alten Bekannten in neuer Form wiedersehen. Wie weit der gekräftigte Ensemble-Geist indes wirklich reicht, wird man bald feststellen können.