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«Der Spiegel» und die DDR «Der Spiegel» und die DDR: Augstein in der Auster

Von Christian Eger 22.11.2002, 13:15
«Spiegel»-Herausgeber Rudolf Augstein. Der Herausgeber des Hamburger Nachrichtenmagazins starb im Alter von 79 Jahren. (Archivbild vom 13.08.1997)
«Spiegel»-Herausgeber Rudolf Augstein. Der Herausgeber des Hamburger Nachrichtenmagazins starb im Alter von 79 Jahren. (Archivbild vom 13.08.1997) dpa

Halle/MZ. - Dabei war der im Alter von 79 Jahren gestorbeneund am Dienstag auf Sylt beigesetzte Gründerdes Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel"kein Mann für jedermann, schon gar kein Gemeinplatz-Wart.Augstein ließ vom Wunsch nach Einheit auchnicht ab, als dieser in West und Ost längstals ein Projekt mit wahnwitzigen Zügen galt.So hat ein anderes Staatsvolk, von dem inall den Nachrufen kaum die Rede war, dem Publizistensehr viel mehr zu verdanken.

Sagen wir es so: "Der Spiegel" war daswichtigste politische Wochenmagazin der DDR.Eben weil er offiziell nicht zu haben undsein in Umlauf bringen strafbar war: Denndas, was verboten war, machte ja gerade heiß,wie eben das, was man nicht wissen soll, dashöchste Interesse weckt. Wie einst Leninskleines Panzerauto durchs vorrevolutionäreRussland rollte, so zog das Magazin heimlichdurch die Deutsche Demokratische Republik.

Das Blatt hielt die Partei-Bürokraten genausoauf Trab wie die Oppositionellen. Es machteOst-Köpfe wie Bahro, Biermann, Harich undKrawczyk erst tatsächlich populär. "Spiegel"-Leserahnten mehr von dem, was faul war im StaateAlu-Mark. Dafür nahm man gern uralte Ausgabenin Kauf, schmuggelte sie in Schlafsäcken ausUngarn heraus oder gab seinen Personalausweisbrav an der Theke eines polnischen "Presse-Cafés"ab, um so ein rotes Heft in die Hand zu bekommen.

"Es war das Höchste, wenn ich einen ,Spiegel'zum Lesen hatte", sagt Friedrich Schorlemmer,58, damals Prediger in Wittenberg. "Hier vorallem habe ich viel erfahren über das eigeneLand." Es sei ein Ereignis gewesen, mit einem"Spiegel"-Mann zu reden, nicht zuletzt deshalb,weil sich dann sofort die Stasi für eineninteressierte.

Zwei Redaktionsbüros besaß der "Spiegel"in Ostberlin - nacheinander. Das erste befandsich in einer Neubauwohnung in der StorkowerStraße, in unmittelbarer Nähe zum DDR-Militärverlag;gegründet 1976, wurde das Büro 1978 geschlossen,nachdem man das "Manifest" einer parteiinternenSED-Opposition veröffentlichte hatte, verfasstvon Hermann von Berg. Die "Spiegel"-ReporterJörg R. Mettke und Ulrich Schwarz flogen raus,auch privat gab es keinen DDR-Eintritt mehr.1985 wurde zurückgerudert. Ein Büro in einem18-Geschosser in der Leninallee 175 wurdebezogen. Hier saß Redakteur Ulrich Schwarz -unter der Wohnung des Schauspielers Kurt Böwe.

"Journalistisch war das meine beste Zeit",sagt Schwarz heute. "Der Staat war ja zugeschlossenwie eine Auster, alle Informationen mussteman sich mühsam zusammenklauben". Zwei Informationsnetzehabe es gegegeben: die der Partei, technischperfekt, und die der evangelischen Kirche,altmodisch wie eine Brieftaube. "Aber manerfuhr alles!" 62Exemplare erhielt das Ost-Bürowöchentlich, die gingen an Bürgerrechtsgruppenund wichtige Personen des Ost-West-Kontaktbereichesin der DDR: den Verteider Gregor Gysi zumBeispiel, den evangelischen Bischof ChristophDemke, den Kirchenpräsidenten Stolpe. Nein,nie habe er Rücksicht darauf genommen, obirgendeine Meldung irgendeinem innerdeutschenpolitischen Vorgang hätte Schaden können,sagt Schwarz. "Meine Berichterstattung warimmer kritisch, ich habe das System richtighassen gelernt." Das ist nicht selbstverständlich.Günter Gaus zum Beispiel, von 1969 bis 1973"Spiegel"-Chefredakteur, danach bis 1978 "StändigerVertreter" der Bundesrepublik in der DDR wirkte,hatte sich schwer (und bis heute nachhaltig)verliebt in das Selbstbild der intellektuellenDDR-Aristokratie.

Die Partei-Lenker hielten viel vom "Nicht-Organ"(SED-Slang). Günter Schabowski, 73, einstPolitbüro: "Es war ein besonders respektiertesOrgan. Als Funktionär vom ,Spiegel' interviewtzu werden, war etwas ganz besonderes. JederFunktionär von einiger Bedeutung bekam den,Spiegel' als Dienstlektüre zugestellt." Weiles "besonders analytisch" war und "bedrohlicheSituationen" auslösen konnte. Das Blatt habedie DDR nicht verändert, aber die Veränderungenbefördert. Vor allem in dem es das Bewusstseinder Einheit hochgehalten habe, sagt Schabowskiheute.

Damit hatte es der "Spiegel" im Westen schwerer.Mit DDR-Themen war dort keine Auflage zu machen.In den letzten fünf DDR-Jahren gelang es UlrichSchwarz nur einmal, eine Titelgeschichte zusetzen. Das war die Story "Rebellion hinterder Mauer", nach der Luxemburg-Demo vom Januar1988.

Mit den Augen von heute schaut man in dieseReportage hinein wie in ein Puppentheater:Klar, das alles hier war ja einmal existenziellerErnst, der sich aber einem großen Unernstverdankte. Es war über die DDR - in der Tendenz -zu jedem Zeitpunkt eigentlich immer allesgesagt. Wäre die "Wende" nicht gekommen, würdeman sich den 88er Titel noch heute weiterreichen:mit hochroten Ohren die Leser, mit Eselsohrendas Blatt.