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«Der schwarze Kanal» «Der schwarze Kanal»: Abschiedsgrüße aus der Kläranlage

Von Hans-Erdmann Gringer 29.10.2004, 16:34

Halle/MZ. - Fast 30 Jahre und 1 519 Folgen lang hatte Schnitzler in seinem Politmagazin demagogisch gegen den Westen gewettert. Schnitzler, Sohn eines königlich-preußischen Legationsrates und in den 50er Jahren aus dem Westen zum Rundfunk der DDR gekommen, verstand sich und seine Sendung als "Kläranlage gegen Unflat und Abwässer, die sich aus dem westdeutschen Fernsehen Tag für Tag ergießen."

Schnitzlers Sendungsbewusstsein war dabei im wahrsten Wortsinn grenzenlos, sein Tonfall bissig bis gemein. Dabei lief die Propagandaschau immer nach dem gleichen Muster ab. "Sudel-Ede", so Wolf Biermann über Schnitzler, blickte zurück auf Ereignisse der Woche und stimmte so den Zuschauer ein. Es folgten dann mehrere Filmbeiträge von ARD und ZDF - "Tagesschau", "Auslandsjournal" oder "Der Internationale Frühschoppen" mit Werner Höfer - die Schnitzler gezielt ausgewählt und geschnitten hatte. Die Beiträge wurden entweder aus dem Off oder durch Schnitzler selbst mit starrem Blick in die Kamera kommentiert.

Mit dem Mauerbau 1961 war für ihn "die Falltür Westberlin dicht gemacht, die auf das Herz der DDR gerichtete Lanzenspitze umgebogen." Die Beteiligung der NVA am Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 zur Niederschlagung des Prager Frühlings war für ihn "brüderlicher Beistand". Seine Sendungen, jeweils montags um 21.30 Uhr nach dem beliebten Ufa-Film der Woche ausgestrahlt, wurden so regelmäßig zu Argumentationshilfen in SED-Parteiversammlungen.

Allerdings übersah Schnitzler in seiner Borniertheit die Zeichen der Zeit, als immer mehr Menschen auf der Straße für Reise- und Gedankenfreiheit demonstrierten, und wurde schließlich selbst zur Zielscheibe der Demonstranten. Wütend nahmen sie Schnitzlers Verbohrtheit aus Korn und forderten "Schwarzer Kanal, heut' zum letzten Mal" oder "Schnitzler in den Tagebau - Schnitzler in die Muppetschau". Wenige Tage vor dem Mauerfall kam dann die Kehrtwende.

Auch die DDR sei in ihrem Aufbau nicht von Irrtümern und Fehlern frei gewesen, erkannte er plötzlich. Nichts dürfe die Politik der Wende, wie sie wenige Tage zuvor der neue Parteichef Egon Krenz verkündet hatte, auf dem Weg zu einem noch besseren Sozialismus beeinträchtigen. Doch der Klassenkampf bliebe uns erhalten, rief er ebenso trotzig hinterher.

Schnitzler, der 2001 83-jährig in Zeuthen bei Berlin gestorben ist, blieb bis zu seinem Lebensende verbohrt. Im Spiegel sagte er 1991, der "zurückgeworfene Sozialismus (ist) dem Kapitalismus überlegen" und werde "im nächsten Jahrhundert die Oberhand gewinnen." Ein Jahr später veröffentlichte er "Der rote Kanal. Sichten und Einsichten". Und 1994 bescheinigte er der DDR in der Schrift "Provokation", sie sei das "Beste gewesen, was in der Geschichte den Deutschen, den Völkern Europas und der Welt aus Deutschland begegnet ist."