«Der Mann, der Günter Wallraff ist»: Biografie über Enthüllungsautor
Köln/dpa. - Als einen Ankläger, Einzelgänger, Getriebenen, angefeindeten wie verehrten Journalisten schildert die Biografie «Der Mann, der Günter Wallraff ist» den umstrittenen Enthüllungsautor. Er habe eine neue Dokumentarliteratur geschaffen und als Publizist und politischer Aktivist wie kein anderer die Schattenseiten des Wirtschaftswunders aufgedeckt, schreibt Jürgen Gottschlich über Wallraff. Der 64-Jährige sei noch immer eine «Institution».
In elf Kapiteln schildert der «taz»-Mitbegründer die Kindheit und lange Under-Cover-Arbeit des Kölner Autors. Er versucht zu ergründen, warum Wallraff immer wieder in falscher Identität bis an seine äußersten Grenzen ging - und welche Wirkung er als einer der bekanntesten deutschen Autoren erzielte. Wallraff selbst sagt zu dem Buch: «Bei einigen Punkten habe ich mich wieder erkannt, bei anderen nicht.»
Die Rolle des türkischen Arbeiters Ali war die «Rolle seines Lebens» und die «Vollendung seiner Identität», schreibt Gottschlich. Als Ali schuftete Wallraff fast drei Jahre lang als Knecht, heuerte als Leiharbeiter bei Thyssen oder Jobber auf einer Großbaustelle an. In seinem Buch «Ganz Unten» (1985) habe er klargemacht, «dass Menschen am unteren Ende der sozialen Hierarchie brutal ausgebeutet werden».
In den 60er Jahren begann Wallraff seine Under-Cover-Reportagen mit falscher Identität in mehreren Betrieben. Der erste Massenerfolg stellte sich 1973 mit dem Buch «Ihr da oben - Wir da unten» ein, wie die Biografie nachzeichnet. Seine Rollen- und Identitätswechsel und seine Dokumentationen aus der Sicht des Betroffenen wurden zum Markenzeichen.
Gottschlich beschreibt, wie sich der Schriftsteller mit den Mächtigen und Reichen anlegte. Nach Recherchen in Portugal in rechtsradikalen Kreisen wurde ein Teil seiner Wohnung als «letzte Warnung» in Brand gesetzt. Eine Solidaritätsaktion für Opfer des griechischen Militärregimes brachte ihm 1974 Misshandlungen und Haft ein. Über Jahre geriet er zudem ins Fadenkreuz von Verfassungsschutz und BKA, die ihn für einen RAF-Unterstützer hielten.
Das Buch zeigt auch, wie Wallraff Ende der 70er Jahre «Leitstern der Anti-"Bild"-Bewegung» wurde, nachdem er als Hans Esser bei der «Bild»-Zeitung in Hannover angeheuert und die dortigen Machenschaften im Millionen-Seller «Der Aufmacher» (1977) aufgedeckt hatte. Der Springer Verlag überzog ihn mit Prozessen, am Ende wurden einige Szenen im Buch gerichtlich verboten. Lange war Wallraffs Leben geprägt vom Kampf gegen den größten deutschen Pressekonzern, schreibt Gottschlich. Zermürbt hätten ihn auch Vorwürfe mehrerer Medien, er sei Stasi-Spitzel gewesen. Zuletzt endeten Anschuldigungen in der «Welt» und eine darauf von Wallraff eingereichte Unterlassungsklage im Januar 2006 mit einem juristischen Sieg für den Kölner Autor.
Die Biografie widmet auch dem ganz jungen Wallraff viele Seiten, seiner Kindheit im bergischen Örtchen Blecher, dem Hunger seiner Familie nach Kriegsende in Köln und den für Wallraff traumatischen Monaten in einem Nonnen geführten Heim. Nach dem frühen Tod des Vaters musste er die Schule abbrechen und Geld als Buchhändler-Lehrling dazuverdienen. Heinrich Böll wurde sein «väterlicher Freund», dessen Nichte Birgit Böll seine erste Ehefrau. Die Veröffentlichung seines Bundeswehr-Tagebuchs - dort war er nach Schikanen als «abnorm» entlassen worden, weil er kategorisch keine Waffe anfassen wollte - leitete Wallraffs publizistische Karriere ein.
Dass Gottschlich sein Privatleben unter dem Titel «Wallraff und die Frauen» auf wenigen Seiten zusammengerafft habe, sei «unglücklich verkürzt», sagt Wallraff, der zum dritten Mal verheiratet ist und fünf Töchter hat. «Ohne die starken Frauen an meiner Seite wäre ich wohl in der Verzweiflung gelandet.» Seit einigen Jahren arbeitet Wallraff an seinen Memoiren: «Um zu offenbaren, wie ich mich selber sehe, denn das entspricht oft nicht dem Bild, das die Öffentlichkeit von mir hat.»
Jürgen Gottschlich: Der Mann, der Günter Wallraff ist.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
304 Seiten, 18,90 Euro
ISBN: 978-3-4620-3926-9