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Der letzte Tango in Paris Der letzte Tango in Paris: Anonymer Sex tabulos treuelos - und mit Liebe

18.06.2009, 10:14
Maria Schneider und Marlon Brando in „Der letzte Tango in Paris“
Maria Schneider und Marlon Brando in „Der letzte Tango in Paris“ AG

Amsterdam - Anonymer Sex. Tabulos, treuelos, aber wenigstens am Ende nicht ganz ohne Liebe. „Der letzte Tango in Paris“, der nun 37 Jahre nach der Erstaufführung wieder in deutsche Kinos kommt, war Skandal und Kult in einem.

„Der packendste erotische Film, der jegedreht wurde“, urteilte die seinerzeit einflussreichste US-Kritikerin Pauline Kael. „Pornografischer Schund“, fanden Staatsanwälte in Italien und klagten die Hauptdarsteller Marlon Brando und Maria Schneider in Abwesenheit an. Regisseur Bernardo Bertolucci bekam gar eine Haftstrafe auf Bewährung. Vor Kinos vieler Länder gab es lautstarke Proteste.

Dergleichen wird sich jetzt natürlich nicht wiederholen. Es wird ein eher sentimentales Wiedersehen mit einem 48-jährigen Brando, der danach im Kino niemals schöner zu erleben war. Und mit der ebenso kindlichen wie fraulich-üppigen Nacktheit der gerade 20-jährigen Maria Schneider. Ein wenig knistert er heute immer noch, der Sex-Tango, den die beiden mit überzeugenden Improvisationen in Parisvormachten.

Brando, der vor fünf Jahren starb, spielt den Mittvierziger Paul,einen Amerikaner voller Seelenschmerz. Seine französische Frau hat ihn betrogen und sich schließlich die Pulsadern aufgeschnitten. Auf der Suche nach einer anderen Bleibe begegnet der Witwer in einer leeren Wohnung der Studentin Jeanne. Mit Weltschmerz im Blick, das graue Haar zur attraktiven Tolle frisiert, nimmt er sie völlig wortlos in einem Triebausbruch - ohne dabei seinen schicken Kaschmirmantel auch nur einen Zentimeter weiter als nötig zu öffnen.

Warum hat der Zuschauer, selbst wenn er nichts über den Film wusste, gleich geahnt, dass es so kommen würde? Dass die junge Fraues nicht nur geschehen lassen, sondern scheinbar genießen würde? Die Antwort heißt Brando. Er verstand es meisterhaft, aus dem Alltäglichen, dem scheinbar Unverfänglichen heraus mit knappen Gesten eine spannungsgeladene Atmosphäre erotischer Erwartung zu schaffen.

Jean-Paul Belmondo, Jean-Louis Trintignant und Alain Delon - diese drei großen Franzosen sollen die Rolle abgelehnt haben. Ein Glück, dass der Amerikaner damals dringend Geld brauchte. „Tango“ ohne Brando? Kaum vorstellbar. Mit manch anderem Star hätte so ein Filmüber den Versuch eines Mannes, Enttäuschung und Verzweiflung in purem Sex bar jedweder normalerweise damit einhergehenden zwischenmenschlichen Beziehungen zu ertränken, in einen peinlichen Softporno abgleiten können.

So aber entstand mit „Der letzte Tango in Paris“ ein Erotik-Klassiker. Der steht nun freilich schon seit Jahrzehnten in den Videotheken. Fernsehsender bringen Wiederholungen lange vor Mitternacht. Wozu also eine Rückkehr ins Kino? Vielleicht, um den „Tango“ mal rauszuholen aus dem stillen Kämmerlein. Es mag interessant sein, zu erleben, wie er sich heute im Kino „anfühlt“. Dass dabei in unserer Ära der „Feuchtgebiete“ noch jemand Angst hat, der Sitznachbar könne trotz Dunkelheit seine roten Ohren bemerken, ist wohl unwahrscheinlich.

Oder doch nicht? Nicht einmal bei der Szene, in der Brando mit den Füßen nach einem der seitdem berühmtesten Requisiten der Filmgeschichte angelt? Jenem Viertelpfund guter Butter in Goldpapier, aus dem er mit den Fingern ein Stück herauspolkt, um damit den erzwungenen Analverkehr mit seiner wimmernden Filmpartnerin reinphysisch leichter möglich zu machen.

Brando und Bertolucci hatten sich die Szene, die nicht im Script stand, beim Frühstück ausgedacht und Schneider damit überrascht. Spekulationen, ob das Geschehen vor der Kamera womöglich „echt“ gewesen sein könnte, beendete Brando erst Jahre später: „Bernardo wollte es, aber ich habe es nicht getan.“

Für die junge Französin hingegen hatte die improvisierte Szene dennoch schlimme Folgen. Echt seien ihre Tränen gewesen, berichtetesie vor zwei Jahren in einem Interview der britischen Zeitung „Daily Mail“. „Ich fühlte mich verletzt und, um ehrlich zu sein, ein wenig fühlte ich mich auch vergewaltigt, und zwar durch beide, Marlon und Bertolucci.“

Danach wirkte die heute 57-Jährige noch in fast 50 Kino- und Fernsehfilmen mit, ohne sich jemals wieder auszuziehen. Es dauerte lange bis die Produzenten begriffen, dass sie sich nie wieder zu einer Nacktrolle überreden lassen würde. Und noch länger, bis sie Alkohol- und Drogenexzesse, Entziehungskuren und Heilanstalten endgültig hinter sich brachte.

Anders als mit Bertolucci blieb Schneider mit Brando, der für seine Darstellung des Paul hochgeehrt wurde, bis zu dessen Tod befreundet. So knisternd ihr Filmsex auch heute noch wirken mag, Schneider schwört, dass es nie zwischen ihnen gefunkt hat. „Wir waren viel eher wie Vater und Tochter.“ Das Kritikerlob für Bertolucci hält sie für „weit übertrieben“. Nachdem Brando 2004 mit 80 Jahren starb, hat sie den Film noch einmal angeschaut: „Er wirkte kitschig.“