«Der Fall Feininger» «Der Fall Feininger»: Du sollst dir kein Bild machen
Quedlinburg/MZ. - Und die Geschichte einer Freundschaft, die einige Aggregatzustände durchlief: von der herzlichen Nähe bis zur verdeckten Konfrontation.
Der "Fall Feininger", der das Schicksal von 64 im Jahr 1937 in NS-Deutschland zurückgelassenen Gemälden des Deutsch-Amerikaners Lyonel Feininger (1871-1956) bezeichnet, zeigt einmal mehr, welche Zwecke der Besitz von Kunst in Folge von Krieg und Nachkrieg erfüllen kann. Er ist auch ein Mittel der Politik. Ein Objekt, das in Haft genommen werden kann. Auch aus persönlicher Verletztheit.
Rochus trifft Papileo
Es waren nicht Lyonel und Julia Feininger, sondern deren Söhne T. Lux, Andreas und Laurence, die von Amerika her den juristischen Kampf um die in Quedlinburg verbliebenen Bilder führten - gegen einen Freund der Eltern, der in Notzeiten ein zuverlässiger Helfer gewesen war. Denn eigentlich kann von einem "Fall Feininger" nicht die Rede sein, sondern von einem "Fall Klumpp". Hermann Klumpp, 1902 in Quedlinburg geboren und 1987 gestorben. Promovierter Jurist, Bauhaus-Absolvent 1932, Architekt und Kunstsammler. Vielleicht auch ein Lebenskünstler?
Wir wissen es nicht genau. Die in Potsdam lebende Autorin Petra Werner hat nun eine Recherche zum "Fall Feininger" vorgelegt. Das Buch ist eine Neuigkeit, denn es nimmt erstmals Stimmen, Zeugnisse und Akten zu diesem Vorgang auf. Das Buch ist ein Ärgernis, denn es ist konfus gebaut, stilistisch disparat, ausschweifend bis zur Geschwätzigkeit, wo Genauigkeit im Detail und Klarheit im Urteil unbedingt notwendig gewesen wären. Ausgerechnet mit der Persönlichkeit Hermann Klumpps, von der aus allein diese Recherche zu gestalten wäre, kann die Autorin überhaupt nichts anfangen. Die menschliche und geistige Kontur des Feininger-Freundes und Werktreuhänders bleibt schemenhaft, seine soziale Gestalt völlig äußerlich. Wovon und wie er lebte, wird nur andeutungsweise mitgeteilt. Die Autorin führte Interviews, aber nicht mit der Klumpp-Umgebung. Vielleicht gab es dafür Gründe. Wenn, hätten sie ins Buch gehört.
Worum es geht: Klumpp, der aus Quedlinburg stammende Bauhäusler, lernt die Feiningers 1929 in Dessau kennen. Mit dem Anliegen, eine Studie über die Bauhaus-Maler verfassen zu wollen. T. Lux Feininger 1985: "Schon bald war er auch ein regelmäßiger Gast am Teetisch meiner Mutter. Gegen Ende des Sommers war er zu einer Institution in unserem Hause geworden". Ein Wahlsohn fast: Klumpp wird von Feininger, der sich selbst ihm gegenüber "Papileo" nennt, "Rochus" gerufen - nach dem Heiligen, der sich für die Pflege von Pestkranken aufopferte. Klumpp teilt auf Zeit die Meisterhauswohnung mit den Feiningers, er begleitet den Maler an die Ostsee. Er verehrt tief und er hilft, wo er kann. Nach dem Machtantritt der Nazis sind die Feiningers auf diese Hilfe angewiesen. 1937 emigriert die Familie nach Amerika. 64 Gemälde lassen sie bei Hermann Klumpp zurück, Möbel und Grafiken. Eine erste Sendung bringt dieser noch 1938 von Deutschland aus auf den Seeweg. Von 1937 an gilt Feiningers Kunst als "entartet"; Klumpp lässt die Werke 1939, um sie vor dem NS-Zugriff zu schützen, notariell als sein Eigentum deklarieren, was Feininger akzeptiert. Klumpps Fehler: Er trifft mit dem Freund keine eindeutigen Verfügungen. Was ist treuhänderisches Gut, welcher Teil "Besitz" oder "Eigentum"?
Die DDR wird verklagt
Klumpp verwahrt die Bilder nicht einfach, er lebt mit und aus ihnen: ein Sammler, der scharf verteidigt, was er zusammenhält. 1970 - nach dem Tod der Mutter - klagen die Feininger-Söhne das Eigentum ein. 1972 werden die Werke in "Sicherheitsverwahrung" verfügt. In Halle beginnt 1974 der Prozess, der 1976 endet: die Gemälde 1 bis 43 und 45 bis 54 sind Feininger-Eigentum. Was nicht die Herausgabe der Werke bedeutet. Denn die DDR entdeckt ein "nationales" Interesse.
Die Feininger-Anwälte klagen gegen die DDR, die Sache wandert ins Politbüro. 1984 endlich reisen 49 Feininger-Gemälde aus, drei gehen an die Ostberliner Nationalgalerie. Klumpp, der 1986 mit der Schenkung seiner Grafik-Sammlung die Quedlinburger Feininger-Galerie begründen wird, hat verloren: sehr persönlich. Mit welchem Einsatz und Motiv eigentlich - in der NS-Zeit und danach? Was überhaupt wäre ihm vorzuwerfen - und was davon den Zeitverhältnissen, die einen Freundschaftsdienst zur Staatsaffäre machten? Petra Werner aber lässt Klumpp als einen psychotischen Fall erscheinen, der ihr nicht einmal die Mitteilung von Geburts- und Sterbejahr wert ist.
Feininger-Galerie Quedlinburg: Eröffnung der neugestalteten Präsentation der Sammlung Klumpp am Sonnabend um 11 Uhr
Petra Werner: Der Fall Feininger, Koehler & Amelang, mit Abb., 256 Seiten, 24,90 Euro