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«Der Bauch des Ozeans» «Der Bauch des Ozeans»: Die Widmung als Programm

Von Matthias Hoenig 23.11.2004, 11:58
Die aus dem Senegal stammende Autorin Fatou Diome lebt seit zehn Jahren in Straßburg. Die 36 Jahre alte Bestsellerautorin moderiert im Fernsehen regelmäßig eine Literatursendung und ist die 18. Schriftstellerin, die mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet wurde. (Foto: dpa)
Die aus dem Senegal stammende Autorin Fatou Diome lebt seit zehn Jahren in Straßburg. Die 36 Jahre alte Bestsellerautorin moderiert im Fernsehen regelmäßig eine Literatursendung und ist die 18. Schriftstellerin, die mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet wurde. (Foto: dpa) dpa

Zürich/dpa. - «Ich möchte Sie einladen, teilzuhaben am Aufschreieiner Frau zwischen zwei Welten.» Die Widmung, die Fatou Diome imHamburger Literaturhaus in ein Exemplar ihres Debütromans «Der Bauchdes Ozeans» schreibt, ist Programm. Die aus dem Senegal stammendeAutorin hat einen verschlungenen Lebensweg, der sie aus einementfernt gelegenen Fischerdorf - einem «Krümel am Maul des Ozeans» -nach Straßburg führt. Dort lebt die 36-Jährige seit zehn Jahren,ihre Ehe mit einem französischen Entwicklungshelfer scheiterte,jetzt promoviert sie in Literaturwissenschaften, moderiert imFernsehen regelmäßig eine Literatursendung und ist Bestsellerautorin.

Rund 200 000 Exemplare ihres Debütromans, der die Lebenssuchezwischen Afrika und Europa zum Thema hat, wurden dort verkauft. ImMittelpunkt des zum Teil autobiografischen Werkes steht die Ich-Erzählerin. Das unehelich geborene Kind gilt in der muslimischenDorfgemeinschaft als Schande, die Großmutter zieht es groß, denSchulbesuch erkämpft es sich gegen Widerstände und studiertschließlich in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Später zieht diejunge Frau mit ihrem Mann nach Straßburg und erfährt dort dieAblehnung der Schwiegermutter, die «lieber ein Schneewittchen» gehabthätte.

In ihrem afrikanischen Heimatdorf Niodior träumt ihr Halbbrudervon einem besseren Leben in Frankreich. Fußball-Profi möchte erwerden, Erfolge feiern, wie so mancher schwarzafrikanischerBallkünstler in französischen Vereinen.

Fatou Diome kennt beide Welten, die afrikanische Dorfgemeinschaftmit den von der Scharia bestimmten starren Regeln, die Halt bieten,aber auch jeden, der einen Fehltritt wagt, zum Außenseiter machen.Sie beschreibt die Unwissenheit, Naivität, auch die Rückständigkeitund die realitätsfremden Träume vieler afrikanischer Jugendlicher vomvermeintlich paradiesischen Frankreich.

Mit eindringlichen Beispielen, in sprachlicher Schärfegeschrieben, aber auch mit prallem, teils sarkastischem Humor undpolitischer Analyse grundiert, entlarvt sie diese Formen derTäuschung und Selbsttäuschung. Die Afrikaner sind in Frankreich meistnur «die Neger»: Schuhputzer, Hilfsarbeiter, Handlanger. Doch zuHause im Senegal gaukeln Heimkehrer oft das große Glück vor.

Der von Metaphern und Bildern funkelnde afrikanische Erzählstilmacht das Lesen zu einem sinnlichen Vergnügen und ermöglicht zugleicheine intensive Teilhabe am Zerrissensein zwischen zwei Welten. AmEnde bleibt die Ich-Erzählerin in Frankreich, mit Wehmut nach Afrika.Und ihr Bruder, dem sie das Geld für einen Krämerladen in seinem Dorfgeschenkt hat, bleibt zu Hause und überwindet seine Fluchtträume -eine Hoffnung machende Emanzipation.

So anschaulich wie Diome erzählen nur wenige Romane von derDiskrepanz im Bewusstsein der Menschen in den verschiedenen Welten.Vor ihrer Abreise aus dem Senegal nach Frankreich schreit die Ich-Erzählerin im Bad ihres Hotelzimmers, bis zum Hals in Schaumversunken, aus voller Kehle einen Rap («in Anlehnung an dieKlagegesänge meines Dorfes»), der mit dieser Strophe endet: «Wir sinddie Globalisierungsgeneration/ Angelockt, ausgefiltert,abgeschoben/ hoffnungslos/ Reisende wider Willen.»

Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans; Diogenes Verlag, Zürich; 274 S., Euro 18,90; ISBN 3-257-06445-