Depeche Mode in Leipzig Depeche Mode in Leipzig: Back in black

Leipzig/MZ - Das Volk will keine Mid-Tempo-Songs. Das Volk will tanzen. Was macht man da als Band auf einem Konzert, wenn die neue Platte Nummern enthält, die sich nicht beim ersten Hören erschließen? Genau, man hält sich nicht lange mit der Vorrede auf, sondern schöpft aus einem in über drei Jahrzehnten angesammelten Repertoire die Hits, die 45 000 zur Ekstase zwingen. Geschehen in der Leipziger Rote-Brause-Arena am Dienstagabend. Die Stadt trägt schwarz, nicht jedoch als Zeichen der Trauer: Nach vier Jahren Abstinenz schauen Depeche Mode wieder auf ihrer aktuellen „Delta-Machine-Tour“ vorbei - und füllen Leipzig mit monochromatisch gekleideten Fans jeder Altersgruppe.
Willkommen in Daves Welt
„Welcome to my world“ singt Frontmann Dave Gahan zum Auftakt des zweieinhalbstündigen Konzerts. Das Stück ist der Opener aus dem neuen Album „Delta Machine“ der nach Fortgang Alan Wilders im Jahr 1995 nur noch dreiköpfigen Band. Der Song ist, wie etliche andere auch aus dem jüngsten, 13. Werk der Briten, keine leichte Kost: getragen, soulig, eckig. Begleitet wird der Konzertauftakt von einem für Rockbands dieser Größenordnung eher minimalistischen Bühnenbild - ein bisschen Licht, ein bisschen Nebel, zwei Videowände mit groben Schriftzügen und psychedelischen Farbkreisen. Später noch Videos des Leib- und Magenregisseurs der Band, Anton Corbijn. Ganz klar - die Show macht hier ein anderer - Gahan.
Der reißt sich wie gewohnt bereits nach dem ersten Stück das lederartig glänzende Sakko vom Leib, predigt noch schnell „Angel“ - ebenfalls vom neuen Album, ebenfalls nicht einfach - von der Bühne, und lässt es dann krachen. Ein kurzes „Good evening Leipzig“, dann bekommen die Mehrzahl der Fans mit „Walking in my shoes“ vom 1993er Album „ Songs of Faith and Devotion“ [geändert, Red.] geliefert, wofür sie zu in der Regel ausverkauften Depeche-Mode-Konzerten pilgern: Eingängige Klassiker zum mitsingen und tanzen. Gahan ist jetzt heiß, der Schweiß rinnt. Er tobt wie ein Berserker über die Bühne, lässt sich auf dem Laufsteg feiern und pflegt einen erotischen Hüftschwung, wie es ihn seit Elvis Presley nicht mehr gab. Greift sich zur Textzeile „my little one“ aus „A question of time“ demonstrativ in den Schritt und grinst beim textlich fragwürdigen, aber musikalisch hitverdächtigem „Sooth my soul“ diabolisch in die Kamera. Der Mann ist deutlich über 50, hat einen Quasi-Drogentod überlebt und den Krebs überstanden, aber zurückstecken? Nicht Gahan.
Er feuert seinen seit 1997 für Live-Auftritte gebuchten, deutschen Schlagzeuger Christian Eigner zu immer neuen Soli an - und klatscht sich begeistert mit ihm ab. Wie dieser ergänzt auch Peter Gordeno das Live-Ensemble wieder an den Keyboards und - bei „A pain that I'm used to“ - sogar am Bass. Mehr als ein Gimmick, sondern Ausdruck dafür, dass Depeche Mode immer eine Band im Wandel war - vom glatten Synthiepop der frühen 80er über harte Industrial-Klänge bis hin zum Gitarrenspiel von Martin Gore. Gore, der die meisten Stücke der Band komponierte, steht heute kaum noch an den Keyboards. Dort verrichtet nur noch einer stoisch und mit Fliegerbrille vor den ergrauten Schläfen sein Werk - Andrew Fletcher. Die Lust der einstigen Elektronik-Pioniere am Saiteninstrument treibt derweil selbstironische Blüten: In einem Video spielt Gahan Pappgitarre und trägt Zylinder auf dem Kopf, Slash von „Guns N’ Roses“ lässt grüßen.
Selbstironie aus der Klamotte
Die Lust der Band, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, endet damit noch nicht: Im fünfteiligen Zugaben-Block holt man doch tatsächlich „Just can’t get enough“ aus der Klamottenkiste. Ein Song, so wunderbar naiv dahergeklimpert - ja, auch das waren mal Depeche Mode. Der Rest in Leipzig ist ein bebendes, tobendes, tanzendes Stadion, sind tausenden Arme in der Luft. „Enjoy the silence“ brüllt Gahan mit inzwischen freiem Oberkörper, bevor sich der „Personal jesus“ der DeMo-Fans mit „Never let me down again“ verabschiedet.
