Deniz Yücel und Asli Erdogan Deniz Yücel und Asli Erdogan: In der Türkei verfolgt - in Leipzig geehrt

Leipzig - Spätestens dann, als die türkische Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan auf der Bühne erst der Jury-Begründung, dann dem prasselnden Applaus lauscht, wird jeder der honorigen Gäste im Saal eine Ahnung davon bekommen, was Angst und Mut und Sehnsucht nach Freiheit bedeuten: Still und in sich gekehrt, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde, steht die schmale Frau dort oben im Licht. Sie hat jahrelange Verfolgung, dann mehrere Monate in Isolationshaft erdulden müssen, weil sie das Wort und die Wahrheit über die diktatorische Staatsraison ihrer türkischen Heimat gestellt hatte.
Gemeinsam mit dem seit mehreren Monaten in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel (Jahrgang 1973), der als Korrespondent der Mediengruppe WeltN24 tätig ist, hat die 1967 in Istanbul geborene Asli Erdogan am Freitagabend in Leipzig den mit 30 000 Euro dotierten Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien verliehen bekommen. Für Yücel nahm dessen Schwester Ilkay die Ehrung entgegen.
Asli Erdogan, die ironischerweise den Namen des türkischen Staatspräsidenten teilt (man kann auch sagen: er teilt ihn unverdientermaßen mit ihr), sagt in ihrer emotionalen Dankesrede, sie widme diesen Preis denen, die sich am Wort festhalten -und jenen, die zum Schweigen gebracht werden sollen in ihrer Heimat. Krank an Körper und Seele durch den Knast-Aufenthalt, ist die Frau nach massiven internationalen Protesten Ende vergangenen Jahres aus dem Gefängnis entlassen worden, man hat ihr schließlich sogar die Ausreise gewährt. Aber die Strafandrohung einer lebenslänglichen Haft in der Türkei schwebt immer noch über ihr.
Terrorpropaganda, Verschwörung, Landesverrat: Gründe für Inhaftierung von Kritikern in der Türkei wirken absurd und nebulös
Die Gründe für die Inhaftierung von Kritikern in der Türkei sind immer die gleichen, und immer wirken sie absurd und nebulös - bei Deniz Yücel wie vielen anderen Journalisten und Intellektuellen: Terrorpropaganda, Verschwörung, Landesverrat. Bewiesen wird nichts, zumeist, wie bei Yücel, gibt es nicht einmal eine Anklage, auch keinen Termin, an demein ordentliches Gerichtsverfahren beginnen könnte.
Der Vorwurf reicht dem Staat, um unliebsame Gegner erst einmal wegzusperren. Für Jahre in Untersuchungshaft womöglich, ohne Prozess. Dies ist möglich in einem Staat, über dessen Aufnahme in die Europäische Union immerhin einmal ernsthaft gesprochen worden ist.
Auch über Deniz Yücel ist allerdings schon einmal mehr gesprochen worden als zuletzt. Bis gestern, in Leipzig. Mag sein, dass im Hintergrund die diplomatischen Drähte glühen und Mitglieder ehrenwerter Vereinigungen mutig die Fäuste in den Taschen ballen. Aber ein wenig schien das Schicksal des Mannes aus dem Blick geraten zu sein über all dem Wahlkampf, dem politischen Wehklagen danach und der schwierigen Suche nach Schuldigen für erlittene Verluste wie nach Partnern für eine Koalition.
Deniz Yücel: „Ich werte meine Gefangennahme als Auszeichnung“
Umso schöner, dass nun von Leipzig dieses Signal ausgeht, das dem Eingesperrten Mut und dem obersten Knastwärter der Türkei Wut machen wird. „Ich werte meine Gefangennahme als Auszeichnung“, hat Deniz Yücel in seinem Gruß nach Leipzig trotzig geschrieben. Aber, so Yücel weiter in seiner Botschaft, die seine Schwester Ilkay verliest: Er hätte freilich auf diese fragwürdige Ehre, den türkischen Knast eben, auch gern verzichtet. Möge der Sarkasmus helfen, aber man ahnt auch Verzweiflung hinter seinen Worten.
Gute Reden haben zuvor den Abend getragen. Harald Langenfeld, der Vorstandsvorsitzende der Leipziger Sparkasse und ihrer Medienstiftung, spricht von einem Zeichen der Solidarität, das man aussende. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung nennt die Pressefreiheit ein „Grundnahrungsmittel“.
Und Werner Schulz, Bürgerrechtler und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen, unternimmt in seinem Festvortrag einen Ritt, der von der Demokratie in Deutschland über die Türkei bis zu seinem Traum von Europa führt: „Noch hat die große Idee keine Seele“. Schulz keilt zuvor sowohl gegen Erdogan, den er eine schlechte Kopie dessen nennt, „was Deutschland überwunden hat“ und auch gegen die Medien im eigenen Land, die er zur Verantwortung mahnt wie alle, die am politischen System teilhaben.
Und er wirft sich für die CDU-Vorsitzende und Bundekanzlerin Angela Merkel in die Schanze, die man, so Schulz, nicht respektlos Mutti nennen soll. Und der auch nicht alle Schuld an politischer Misere in die Schuhe geschoben werden dürfte.
Viel Beifall für alle, auch für die türkische Pianistin Serra Tavsanli, deren Spiel dem Abend den festlichen Rahmen gibt. Bevor man endlich zu Gesprächen, Wein und Häppchen aufbricht. (mz)