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Debatte Debatte: Habermas und Derrida starten Initiative

01.06.2003, 14:19

Frankfurt/Main/Paris/Rom/dpa. - Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas und der französische Philosoph Jacques Derrida haben zusammen mit anderen prominenten Intellektuellen aus mehreren Ländern eine Initiative für eine außenpolitische Erneuerung Europas gestartet. In enger Absprache veröffentlichten dazu am Wochenende mehrere namhafte europäische Zeitungen Essays der Intellektuellen, unter ihnen die Italiener Umberto Eco und Gianni Vattimo, der Schweizer Adolf Muschg, der Spanier Fernando Savater und der Amerikaner Richard Rorty.

   Habermas und Derrida begründeten in einem Gegenvorschlag zum «Brief der Acht», warum nach dem Irak-Krieg der geeignete Moment gekommen sei, um die europäische Rolle in der Welt neu zu definieren. Das Essay wurde am Samstag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Libération» (Paris) gedruckt. In dem Brief vom Januar hatten acht EU-Staaten und EU-Beitrittsländer unter Führung Großbritanniens und Spaniens ihre Unterstützung für die amerikanische Außenpolitik bekundet.

   Was die Europäer verbinde, müsse zunächst in einem Kerneuropa geklärt werden. «Vorangehen heißt nicht ausschließen. Das avantgardistische Kerneuropa darf sich nicht zu einem Kleineuropa verfestigen; es muss - wie so oft - die Lokomotive sein», heißt es in dem Artikel. Die großen Antikriegsdemonstrationen, bei denen im Februar weltweit Millionen von Menschen gegen den drohenden Irak- Krieg protestiert hatten, gingen «als Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit in die Geschichte» ein.

Ein aktionsfähiges Kerneuropa aus den sechs Gründungsmitgliedern plus Spanien könne den Stillstand Europas aufbrechen, der durch das Vetorecht jedes Mitgliedlandes betoniert werde. Als direkte Antwort auf Habermas und Derrida druckte die «Süddeutsche Zeitung» einen Beitrag des amerikanischen Philosophen Richard Rorty. Seine Hoffnung geht dahin, dass das Kerneuropa den Unabhängigkeitswillen, den es gegenüber dem Unilateralismus Washingtons in den letzten Monaten an den Tag gelegt hat, nicht wieder aufgibt: auch um Amerikas willen brauche es ein starkes Europa.

Gianni Vattimo betonte in der Zeitung «La Stampa» gemeinsame europäische Werte und dabei, als ein zentraler Unterschied zu den USA, vor allem die soziale und sozialistische Tradition in Europa. «Wir können das alles vereinfachen und sagen, das sich im DNA Europas ein Gen "Sozialismus" befindet, den die USA überhaupt nicht kennen.» Das mag zwar zum Nachteil haben, dass die Europäer vom Staat zu viel verlangen und es zudem zu viele staatliche Regelungen gibt. Doch dafür gebe es eine weniger «Darwinismus» in den europäischen Gesellschaften.

Umberto Eco betonte in der Zeitung «La Repubblica» vor allem die kulturelle Identität Europas. Nach dem Fall des Kommunismus' und mit dem Aufstieg Chinas orientierten sich die USA um. «Mit einem Amerika, das seine Aufmerksamkeit auf den Nahen Osten und die riesig große pazifische Welt richtet, könnte es dazu kommen, dass Europa nicht mehr zählt.» Deshalb müsse Europa seine politischen Differenzen überwinden, vor allem in der Außen- und Verteidigungspolitik.