DDR-Schriftsteller Friedrich Wolf DDR-Schriftsteller Friedrich Wolf: Tagung im Kloster Huysburg

Kloster Huysburg - Was weiß man schon noch von dem Dramatiker und Schriftsteller Friedrich Wolf? Dass er der ein so bezauberndes Märchen wie „Die Weihnachtsgans Auguste“ geschrieben hat? Das kennen zumindest von den im Osten Aufgewachsenen noch viele. Von den Brüdern und Schwestern aus dem Westen wird da eher Fehlanzeige gemeldet. Und sonst?
Der Autor, geboren 1888 in Neuwied am Rhein und gestorben 1953 in Lehnitz bei Oranienburg, war Sohn eines jüdischen Kaufmanns, wurde Kommunist, Emigrant und war Vater zweier Söhne, die später berühmt geworden sind: Konrad Wolf, für seine Filme „Ich war neunzehn“ oder „Solo Sunny“ bis heute geschätzt. Und Markus Wolf, als Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes und Stellvertreter des Stasi-Ministers Erich Mielke bis heute legendenumwittert.
Verborgene Spuren
Beide sind seit Jahren tot, das Erbe ihres Vaters wird von der Akademie der Künste und der Friedrich-Wolf-Gesellschaft betreut und gepflegt, das Wohnhaus von Wolf und seiner Frau Else in Lehnitz ist heute Museum und Begegnungsstätte zugleich. Will man aber mehr über den Autor, zumal über sein privates Leben erfahren, das vom politischen oft nicht zu trennen ist, muss man tiefer graben.
Hier erweist sich einmal mehr ein Phänomen als höchst aktuell, das man aus DDR-Zeiten in unguter Erinnerung hat. Was sich seinerzeit bis zu einem gewissen, nachvollziehbaren Grad aus parteitaktischer Geheimniskrämerei einerseits, persönlicher Vorsicht der Betroffenen andererseits erklären ließ, erscheint heute allerdings eher befremdlich und im Grunde genommen auch gegenstandslos.
Spuren, die namentlich in die Zeit des kommunistischen Widerstands und der Exil-Jahre in der stalinistisch geprägten Sowjetunion führen, sind oft verwischt. Ihre Auffindbarkeit trüge indessen, bei aller Rücksicht auf die schützenswerten Gefühle Hinterbliebener, nicht unwesentlich zur Aufhellung des Geschichtsbildes bei, das ohnehin im Nebel des Vergessens zu verschwimmen droht. Ohne das Verständnis für das Geschehene wird aber auch die Zukunft eher dunkel bleiben.
Über Zeitgeschichte sprechen
Ganz in diesem besten Sinne der Aufklärung ist eine Tagung hervorzuheben, die am Wochenende im Kloster Huysburg bei Halberstadt stattgefunden hat. Veranstaltet wurde sie vom Mindender Kreis, einer hochmögenden Vereinigung interessierter Privatleute, die sich regelmäßig (und eben auch zu einer Sommerrunde) treffen, um unabhängig von persönlichen und politischen Präferenzen über Zeitgeschichte zu sprechen.
Dieses Mal ging es um Friedrich Wolf, seine Kinder und namentlich auch um Lotte Rayss, die eines dieser Kinder geboren hat. Von dieser Frau werden wohl nur die allerwenigsten auch der Wolf-Leser Näheres gehört haben. Begleitet und unterstützt von der Friedrich-Wolf-Gesellschaft ist im stillen Kloster Huysburg einiges Licht in diese tragische Menschengeschichte gebracht worden. Man kann dies als ein Zeichen dafür deuten, dass nach langer Zeit nun eben doch Räume geöffnet werden - dem begreiflichen öffentlichen Interesse entgegenkommend, vor allem aber auch als späte Wiedergutmachung für die Opfer. Die Geschichte war durchaus pikant, der Autor Hans-Joachim Seidel hat sie in einem schmalen Buch, das er bei der Tagung präsentierte, vorgestellt. Seidels Vater ist kurzzeitig mit Lotte Rayss befreundet gewesen. Lotte hat die Kinder der Familie Wolf betreut, ist dem Schriftsteller eine wichtige Mitarbeiterin (zum Beispiel bei der Entstehung des Dramas „Professor Mamlock“) gewesen und half der Familie bei der Flucht vor den Nationalsozialisten. Aber sie war auch, wohl über mehrere Jahre hinweg, die Geliebte Friedrich Wolfs.
1934, am 21. Februar, brachte sie in Zürich die gemeinsame Tochter Lena zur Welt. Später teilten die Wolfs, also Friedrich, Else, Markus und Konrad, in Moskau kurzzeitig die Wohnung mit Lotte und der Neugeborenen. Eine Situation, die, wie Hans-Joachim Seidel schreibt, für beide Frauen nicht zumutbar war. Es gehe über ihre Kraft, zitiert der Autor Else Wolf. Und Lotte wollte ebenfalls weg.
Unvorstellbare Grausamkeit
Vermittelt durch die Krupskaja, Lenins Witwe, zog Lotte Rayss nach Engels, damals Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik, wo viele deutsche Emigranten lebten. Dort traf sie auch Lorenz Lochthofen wieder, auch von ihm bekam sie ein Kind. Lochthofen, dessen Sohn Sergej, ein Journalist und Autor, über das Leben seines Vaters inzwischen offen berichtet hat, wurde im Zuge der „Säuberungen“ ebenso ins Gulag deportiert wie Lotte Rayss. 1938 verhaftete sie Stalins Geheimpolizei unter dem damals gängigen Verdacht der Spionage, die verjährige Tochter Lena musste Lotte zurücklassen. Drei Tage, so heißt es, sei das Kind allein im Haus verblieben. Man kann und will sich diese Grausamkeit nicht einmal vorstellen.
Lange Schweigeverpflichtung
Lotte Rayss ist nach Haft und Verbannung 1954 in die DDR entlassen worden, 1963 endlich auch rehabilitiert. Nach ihrer Ankunft hatte sie quasi ein Schweigegelübde abzulegen. Ihre Tochter, die in den 30er Jahren und nach dem Krieg zeitweilig bei den Wolfs lebte, hat die Mutter nicht mehr gesucht. Die junge Frau ist in der Sowjetunion aufgewachsen. Einmal, als sie ihre Mutter in der Verbannung sehen konnte, soll sie sie gesiezt haben. 2008 ist Lotte Strub, wie sie seit ihrer später geschlossenen Ehe hieß, in Berlin gestorben. Ihr Sohn Konrad Rayss, 1946 im Gulag geboren, hat nach dem Tod seiner Mutter begonnen, Zeugnis von ihrem Leben zu geben. Es steht für ein bitteres Kapitel deutscher Geschichte. Und es hat mit den Wolfs zu tun. Wohl aus beiden Gründen ist so lange darüber geschwiegen worden. (mz)
