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DDR-Literatur DDR-Literatur: Kant: «Niemand hat mir jemals einen Auftrag erteilt»

29.03.2010, 15:57
Der Schriftsteller Hermann Kant wehrt sich weiterhin nachdrücklich dagegen, als «Stasi-Spitzel» bezeichnet zu werden. (Foto: Sauer/DPA)
Der Schriftsteller Hermann Kant wehrt sich weiterhin nachdrücklich dagegen, als «Stasi-Spitzel» bezeichnet zu werden. (Foto: Sauer/DPA) Zentralbild

Berlin/dpa. - Die DDR-Literatur sei auch «kein Druckfehler» gewesen, meint derheute in Mecklenburg lebende 83-jährige Schriftsteller. Allerdingssei die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 ein Fehlergewesen.

Teilen Sie die Auffassung von Nobelpreisträger Günter Grass, dass manDeutschland zwar in politisch, wirtschaftlich und militärischunterschiedliche Staaten teilen konnte, aber niemals die deutscheKulturnation?

Kant: «Ich hielt und halte die Vorstellung, die Günter Grass voneiner alle politische Realität überwölbenden Kulturnation hegt, fürliebenswert, aber wirklichkeitsfremd. Er hatte 1985 beim KSZE-Kulturforum in Budapest vorgeschlagen, die Teilnehmerstaaten sollteneine unabhängige Kultureinrichtung (mit Fernsehen, Funk und Presse)stiften, und ich habe nicht nur (auch ihm gegenüber) meine Zweifelangemeldet, sondern auch ein kleines Buch ("Die Summe") dazugeschrieben.»

Entwickelten sich durch die Teilung auch zwei deutscheKultursprachen?

Kant: «Von "zwei deutschen Kultursprachen" weiß ich nichts, von zweiKulturbegriffen schon. Freilich konnte es passieren, dass im Roman"Das Impressum" aus "O, Auswerters Leiden!" (bei Rütten & Loening,Ost, wo man das Wort Auswerter kannte) ein "O, aus Werthers Leiden!"wurde bei Luchterhand, West, wo man eher Werthers Leiden kannte. Aberdas hatte mit Kulturpersonen, etwa Lektorinnen, zu tun. Abergenerell: Die DDR-Literatur war kein "Druckfehler", sondern einAbdruck anderer Verhältnisse. Kennen Sie ein besseres Beispiel als"Die Aula" dafür?»

Welchen Stellenwert hatte die Literatur in der DDR?

Kant: «In der DDR wurde die Wirkung von Literatur überschätzt, in derBRD wurde diese Wirkung unterschätzt. "Die Blechtrommel" entsprachnicht den politischen, moralischen, literarischen, pädagogischen usw.Vorstellungen der für die Drucklegungen Zuständigen. Sie widersprachdenen sogar, also gab man anderen Büchern den Vorzug. Es bedurftelanger Einreden (übrigens auch des ursprünglichen "Blechtrommel"-Kritikers Kant) das zu ändern.

Haben Sie sich tatsächlich an vorher «festgelegteDiskussionsbeiträge» bei Schriftstellertreffen gehalten, wie es ineiner Notiz in einer Stasi-Akte über eine Veranstaltung in Den Haagheißt?

Kant: «Das ist nicht die erste oder letzte der Lügen, die zu gewissenZeiten in den Papieren stehen, aber eine besonders faustdicke ist sieschon. In der Tat nahm Kurt Hager (SED-Kulturfunktionär) beiGelegenheiten seinen Part, der zur "führenden Rolle der Partei"gehörte, durch vorgeschaltete Beratungen wahr. In summa lief es aufden Hinweis hinaus, dass man sich vor den Machinationen(Machenschaften, Winkelzügen) des Imperialismus in Acht nehmenmüsse...Wenn es jemand verwundert, dass ich Kongressreden nicht alsPrivatveranstaltungen behandelte, ist Verwunderung auch auf meinerSeite, denn dann wird vergessen, wie der Staat beschaffen war.»

Bleibt es auch dabei, dass Sie sich nie als ein IM (InoffiziellerMitarbeiter) der Stasi gesehen haben?

Kant: «Natürlich bleibt es dabei. Ich habe Kürzel wie KP(Kontaktperson), GI (Geheimer Informant) oder IM (InoffiziellerMitarbeiter) nicht einmal gehört. Nie hat sich jemand als mein«Führungsoffizier» zu bezeichnen gewagt, und entgegen denBehauptungen der Berichte (in den Stasi-Akten) wurde wohlweislich nieversucht, mir einen "Auftrag" zu erteilen. Weshalb ich auch keinenerfüllt haben kann. Schon bei dem Wort "Informator" wäre ichzurückgescheut.

Ich habe mit Leuten des Ministeriums für Staatssicherheitgesprochen, weil es albern gewesen wäre, ganz für die DDR zu sein,aber nicht mit deren Sicherheitsministerium zu reden. Aber wer auchweiß, was mir der Status eines "Freischaffenden" in der DDRbedeutete, sollte ahnen können, wie sehr ich meine Unabhängigkeithütete. Ob es nun "Amtspflichten" bestimmter Leute zur Auskunft gab,kann ich nicht mit Sicherheit sagen, weil mir niemand damit gekommenist. Ich nehme an, für hauptamtliche Leiter verstand sich das ähnlichvon selbst, wie es für mich als den langjährigen SED-Parteisekretärkein Problem damit gab.»

Ist die Stasi auch an ihrem eigenen Übereifer und an ihrer anRealsatire grenzenden kafkaesken Sammelwut für Kleinkram erstickt?

Kant: «Da ich von dem Kram nur kenne, was der Herr Gauck dem HerrnCorino und die Frau Birthler dem Herrn Schlüter zur Verwertungübergeben haben, bin ich auf Vermutungen angewiesen. Und leiste mirdie Ansicht, dass es - zu meinem anhaltenden Bedauern, wohlgemerkt -mit der DDR auch deshalb nichts wurde, weil ihre Kronenwächter demHeer wirklicher Feinde ganze Heerscharen erdachter Widersacherhinzugefügt haben. In meinem ersten Roman, "Die Aula", sagt derParteisekretär Haiduck ganz im Sinne meines letzten Romans, der"Kennung" heißt: "Misstrauen schießt auf Gespenster. Das istMunitionsvergeudung, und die ist strafbar."»

Ihnen wird noch heute Ihre Haltung als Präsident des DDR-Schriftstellerverbands 1979 beim Ausschluss von Kollegen wie StefanHeym, Jureck Becker und Erich Loest, die gegen die Ausbürgerung WolfBiermanns protestiert hatten, vorgeworfen. Hätten Sie sichrückblickend gesehen auch anders verhalten können?

Kant: «Ich wollte den Verband als das erhalten, was er nicht zuletztdurch meinen Einfluss geworden war. Ich wollte nicht alleszerschlagen lassen. Ich habe dem Verband - bei großen Verlusten -zehn weitere Jahre gerettet. Keine Kleinigkeit für seine Mitglieder -ob sie nun in Publikationsfragen einen Fürsprecher brauchten oder inRentenfragen ihre Entgeltpunkte zählten. Im übrigen habe ich mich fürdie Publikationsmöglichkeiten von Biermann-Anhängern auch mit denWorten eingesetzt: «Diese Leute wurden aus dem Verbandausgeschlossen, nicht aus der Literatur!» Auch habe ich die Biermann-Ausbürgerung nicht mitgetragen. Nicht aus Sympathie für Biermann,sondern weil ich wusste, was alles damit zu Ende ging. Selbst einJurek Becker hat meine Stellungnahme im SED-Zentralorgan "NeuesDeutschland" zum Beleg dafür zitiert, dass ich gegen die AusbürgerungBiermanns war.»

Manche Leute haben Sie im Westen auch einen «Gründgens der DDR»genannt, anspielend auf seine Rolle und damit die des Künstlers inder Nazi-Zeit. Was sagen Sie zu einem solchen Vergleich?

Kant: «Dazu kann ich nur wieder meine Aussagen in einemFernsehgespräch mit Günter Gaus zitieren: Niemand kann behaupten, ichsei für ein System, wie es Herr Gründgens vertreten hat, zu habengewesen. Immerhin: Ich glaube, er war der beste Mephisto, den es jegab. Darüber lässt sich reden. Aber dass man einem Regime alsVorzeigepoet diente, ja, das hat mich nicht gestört. Ich fand diesesRegime in Ordnung, mit all seinen Lücken und Fehlern.»

(Interview: Wilfried Mommert, dpa)