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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Englisch für Honecker

Von Fabian Wahl 21.09.2011, 11:59

Berlin/dapd. - Der Vorstellungstermin bei Erich Honecker kamüberraschend und verlief anders als erwartet. Honecker brauchtedringend einen Dolmetscher - und wollte Wolfgang Ghantus. «Er hatmich fröhlich und burschikos empfangen», erinnert der sich an dieBegegnung im Jahr 1950. Honecker bot ihm dann ausgerechnet eineZigarette aus dem Westen an. Ghantus bekam den ersten Auftrag undübersetzte fortan immer wieder für die DDR-Führungsriege und anderePolitgrößen der Welt. Über seine Erlebnisse hat er jetzt ein Buchgeschrieben.

Der Leipziger Militzke Verlag veröffentlicht «Ein Diener vielerHerren - Als Dolmetscher bei den Mächtigen der Welt» Anfang Oktober.Ghantus wird am Sonntag (25. September) 81 Jahre alt und zählt zuden dienstältesten Dolmetschern in Deutschland. Seine Einsätze alsfreiberuflicher Übersetzer führten ihn dutzendfach nach Afrika, indie arabische Welt, ins Weiße Haus und auf das Filmfest Berlinale.

Der Berliner übersetzte für Honecker, Walter Ulbricht, Lothar deMaizière und die junge Angela Merkel. Entertainer Johannes Heesterszählt ebenso dazu wie Schauspieler Peter Ustinov. Dazu kommen Reisenzu Wissenschaftskongressen und Liveeinsätze im Operationssaal. Nochheute absolviert Ghantus 15 bis 20 Aufträge pro Monat, weiterhinhauptsächlich auf Englisch, bisweilen auch auf Französisch.

Zwtl.: Honecker konnte keine Fremdsprache

Als er den ersten Auftrag von Honecker erhielt, war Ghantus nochStudent. Und Honecker hatte als Vorsitzender der Freien DeutschenJugend (FDJ) seine Karriere als DDR-Staatsratsvorsitzender noch vorsich. «Es gab damals nicht viele Simultandolmetscher», sagt Ghantus,vierfacher Familienvater aus Berlin. «Honecker konnte kaum eineFremdspache.» Bei Auslandsreisen wich Ghantus nicht von seinerSeite. «Er brauchte immer einen Dolmetscher. Ich saß sogar beimFrühstück dabei.»

Honecker, sagt Ghantus, sei nicht einfach zu dolmetschen gewesen.«Er war kein großer Rhetoriker. Er hat immer abgelesen.» Diemonotone und steife Art Honeckers und die vielen Schachtelsätzemachten Ghantus zu schaffen. «Er konnte nicht aus seiner Haut raus.»Ein einziges Mal habe von Honecker ein Dankeschön gehört. Ansonstenhabe er meist überhaupt nichts gesagt.

Ghantus hatte eine bisweilen schizophrene Aufgabe: Auf der einenSeite schottete sich die DDR immer mehr ab, errichtete Mauern undStacheldrahtzäune. Auf der anderen Seite sollte Ghantus den Dialogmöglich machen, indem er zwischen den DDR-Bossen und den Mächtigender Welt übersetzte.

Zwtl.: Vater im Widerstand

Wie kam er an den Job? Sein Vater habe im Widerstand gegen dasNaziregime gekämpft. Honecker habe das gewusst. Seine Familie habe«einen bestimmten Bonus» gehabt. Und eine Parteimitgliedschaft? Ja,er sei selbst Mitglied der SED gewesen, sagt Ghantus. Mit seinerKarriere habe dies aber nichts zu tun gehabt. Mitunter sei erangeeckt, von der Partei sei er abgemahnt worden. «Ich gehörte zudenen, die bis zum Schluss an etwas besseres glaubten.» Irgendwannsei die Parteimitgliedschaft im Sand verlaufen.

Seine Anekdoten und Geschichten hat Ghantus vermutlich schonhundert Mal erzählt, so textsicher ist er. Doch in seinem Buchbleiben diese und große Enthüllungen leider die Ausnahme. Sein Werkist keine Biografie, sondern eher eine Lektüre, die Geschmack aufden Beruf eines Dolmetschers machen soll.

Wolfgang Ghantus: Ein Diener vieler Herren - Als Dolmetscher beiden Mächtigen der Welt. Militzke Verlag, 216 Seiten. ISBN:3861898462, Erscheinungstermin: 4. Oktober