DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Das letzte Gefecht

Berlin/MZ. - DDR-Staatschef Erich Honecker hat bis zuletzt nicht bereut und nichts zu berichtigen gehabt. Das verraten Tagebuchnotizen des vor 18 Jahren im chilenischen Exil verstorbenen früheren SED-Chefs, die seine Ehefrau Margot unter dem Titel "Letzte Aufzeichnungen" herausgeben wird. Honecker hatte die 400 Seiten handschriftlicher Aufzeichnungen in den 169 Tagen angefertigt, die er nach seiner erfolglosen Flucht nach Moskau ab Ende Juli 1992 in der Untersuchungshaftabteilung des Gefängnisses Berlin-Moabit hatte zubringen müssen. Der politische Teil des Tagebuches, der als Honeckers Vermächtnis gilt, war bereits kurz nach Honeckers Tod unter dem Titel "Moabiter Notizen" erschienen.
Die jetzt vom "Berliner Kurier" vorab veröffentlichten Auszüge aus dem in der kommenden Woche beim Eulenspiegel-Verlag erscheinenden Buches sind nun das allerletzte Gefecht Honeckers. Sie zeigen einen Politiker, der sich weigert, die DDR anders zu sehen als vor seinem Sturz. So erinnert er sich in einem Eintrag an Walter Ulbrichts Einsatz für den Bau des Berliner Fernsehturmes. Ulbricht habe dabei einen "schweren Stand, schließlich aber doch die Mehrheit" gehabt, so Honecker. "So sah es unter der ,Diktatur aus, in der Demokratie, die sozialistisch war", vermerkt er verbittert.
In seiner Vorstellungswelt war Honecker auch in diesem Sommer 1992, in dem ihn die chilenische Regierung aus ihrer Moskauer Botschaft und die russische Administration aus dem Lande warf, noch der Staatsmann, als der er sich immer gefühlt hatte. "Am Straßenrand stehen Menschen, ich sehe Transparente, rote Fahnen", schildert er seine Fahrt im Behörden-Mercedes vom Flughafen in die Haftanstalt. "In der Turmstraße großer Empfang, Rufe von unseren Berlinern", heißt es weiter.
Der bereits schwer an Leberkrebs erkrankte Honecker gestattet sich auch in seinen Niederschriften, die ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, kaum einen Moment der Schwäche. In gleichmäßiger Füllerschrift schildert er auch seinen Kampf um den Besitz einiger Familienbilder im Chronistenton. "Zwei Fotos von den Enkeln hat man mir abgenommen", schreibt er am 29. Juli 1992, nachdem er seine Zwei-Mann-Zelle bezogen hat.
Doch Honecker bedauert nichts. Als ihm der Haftbefehl verlesen wird, bleibt er stumm. Ihn beschäftigt mehr der Gedanke, dass sein Rechtsanwalt, der bekannte DDR-Strafverteidiger Friedrich Wolff, an diesem Tag seinen 70. Geburtstag feiert. Die Vorwürfe gegen sich hält Honecker ohnehin für "eine Komödie". Umso amüsierter stellt er fest, "dass man mir den falschen Haftbefehl ausgehändigt hat".
Sein Verhältnis zu seiner Ehefrau Margot beschreibt der gestürzte erste Mann der DDR mit einer Mischung aus Revolutionsromantik und Zärtlichkeit. "Meine Kleine" nennt er die wegen ihrer gewagten Haartönungen im DDR-Volksmund zuweilen "lila Hexe" genannte gebürtige Hallenserin.
Es schmerze ihn, dass er nichts gegen die "Hetzjagd" (Honecker) tun könne, die draußen gegen seine Gefährtin betrieben werde. Honecker ist sicher: "Die Justiz der BRD hat kein Recht, über Dich, die Du Deinem Staat treu und erfolgreich gedient hast, zu Gericht zu sitzen."
Mit Befriedigung und Freude notiert er, dass "das Parlament in Chile Margot den Aufenthalt bewilligt hat". Dort lebten damals bereits Tochter Sonja und Enkel Roberto, den Honecker im Tagebuch liebevoll "Robbi" nennt; dort wohnt Margot Honecker bis heute. Für März hat die ehemalige DDR-Bildungsministerin ein Buch zur "erfolgreichen Adaption der DDR-Schulmethoden durch verschiedene Staaten nicht nur in Europa" angekündigt. Die "Letzten Aufzeichnungen" ihres Mannes erscheinen in der kommenden Woche.