1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. David Garrett: David Garrett: Geigen-Wunderkind erobert Platz in der Erwachsenen-Welt

David Garrett David Garrett: Geigen-Wunderkind erobert Platz in der Erwachsenen-Welt

Von UTE VAN DER SANDEN 17.12.2008, 16:40

HALLE/MZ. - Jenes, das er bei der abendlichen Probe zu Carmen Nebels Fernsehshow in Halle spielen würde? Nein, das Air von Bach übe er nicht.

Als der Künstler die Hotellobby betreten, Pfefferminztee bestellt und sich auf dem breiten Sitzmöbel niedergelassen hat, sieht er nicht aus wie der personifizierte Superlativ. David Garrett, in der Diktion der Boulevardpresse wahlweise "der schönste" oder "der coolste Geiger der Welt", in der Gunst von Isaac Stern und Yehudi Menuhin schon als Teenager der "größte Violinist seiner Generation", ist heute einer unter vielen Programmpunkten in der Show "Willkommen bei Carmen Nebel".

Er nennt es "die Verantwortung, nicht zu tun, was man von mir erwartet". Musik sei immer auch Entertainment gewesen, sogar eine Beethoven-Sinfonie könne unterhaltend sein. "Ich bin mit der Klassik groß geworden", sagt David Garrett, "aber warum soll ich nur im 18. und 19. Jahrhundert leben?"

Er war vier, als das losging. Er bekam eine Geige. Und ein strammes Trainingsprogramm. Übte schon als Sechs-, Siebenjähriger fünf Stunden. Täglich, nach der Schule. Die deutsch-amerikanischen Eltern - Vater Anwalt, Mutter Primaballerina - machten ihn fit für die Wunderkind-Karriere, mit Zehn debütierte er in Hamburg. Wie er das erinnere? Allein durch die Dramen hinter den Kulissen, erzählt Garrett, wo die Eltern stritten und irgendwann einer sagte: Jetzt gehst du raus und spielst.

Er ging - raus aus Deutschland, zu Itzhak Perlman an die vielleicht beste Musikhochschule der Welt, die Juilliard School in New York. Spricht von Flucht: "Hier hat keiner geschrien, knallten keine Türen. Es kam mir vor, als träte ich ins Kloster ein." Mit leiser, nachdenklicher Stimme sagt er das, auf der Geige würde so ein Adagio klingen. Hatten Sie, Herr Garrett, eine schwierige Kindheit? Der 27-Jährige lacht nicht: "Es gibt keinen Grund, das zu verheimlichen."

Dass der Virtuose eine kapriziöse Persönlichkeit besitzt, spürt man nicht erst, als er nebenbei in einer Illustrierten blättert. Indes, was Medien über ihn schreiben, interessiere ihn im Grunde nicht. Das Urteil von Menschen wie Itzhak Perlmani ist für ihn das "Maß aller Dinge". Mit ihm telefoniert er, ihn trifft er. Fritz Kreisler nennt er "eines der größten Idole" - auch der ein Entertainer.

Spät, erst als 20-Jähriger, habe er wirklich Freude am Geigespielen gefunden. Die zweite Karriere in Deutschland brauchte Zeit. Doch nun hat er den Echo Klassik, den er im Oktober für sein Crossover-Album "Virtuoso" von 2007 bekam. Er hat die Sympathien von Generationen; Millionen gucken Unterhaltungsshows im deutschen Fernsehen. Er tritt in den bedeutendsten Konzertsälen der Welt auf und, inzwischen, in den größten Hallen. 12 000 Zuschauer fasst allein die Arena in Leipzig, wo Garrett mit Band plus Orchester nächstens seine neue Platte "Encore" präsentiert: Ohrwürmer aus Rock und Klassik in populär aufgedonnerten Arrangements, Filmmusiken, Eigenkompositionen. Er hat einen ersten Wohnsitz in New York, da fühle er sich wohl. "Es ist das Leitungswasser", sagt er, lacht, korrigiert: "ein Gefühl von Freiheit, von Ruhe vor den vielen Leuten".

Was hat er nicht? "Zwei Wochen frei. Am Stück!" Doch würde dies, fügt er sogleich hinzu, vier Wochen Auszeit bedeuten: zwei ohne, zwei mit Geige. Drei bis vier Stunden am Tag übe er mindestens.

Vor dem nächsten Termin muss er in die Maske, rauchen und sein Instrument holen. Er spielt jetzt eine Guadagnini, gebaut 1772 in Turin, der Geigenkasten könnte der Aufmachung nach eine Baseballausrüstung bergen. Wieder vergeht eine halbe Stunde, dann sitzt vor der Fernsehkamera ein Anderer: Geschminkt, gefönt und jovial plaudert der Star über seine Erfolge, nimmt die Geige hoch, und die ersten Takte aus Mendelssohns Violinkonzert mäandern wie Feenwerk durch die Gänge. Sie wirken gänzlich fremd hier, aber sie sprechen jene Sprache, in der sich David Garrett offenbar am besten auszudrücken versteht.

"Willkommen bei Carmen Nebel" wird am Dienstag, 23. Dezember, um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt. Am Montag, 12. Januar, um 20 Uhr gastiert David Garrett in der Arena Leipzig.