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"Das singen wir sportlich" "Das singen wir sportlich": Stadtsingechor Halle feiert sein 900-jähriges Bestehen

Von Kai Agthe 29.04.2016, 19:46
Höchste Konzentration: Unter Leitung von Clemens Flämig probt der Stadtsingechor im Chorhaus der Franckeschen Stiftungen.
Höchste Konzentration: Unter Leitung von Clemens Flämig probt der Stadtsingechor im Chorhaus der Franckeschen Stiftungen. Jens Schlüter

Halle (Saale) - Es sind ausgewählte Passagen, oft nur einzelne Töne, die Clemens Flämig, der künstlerische Leiter des Stadtsingechors Halle, an diesem Donnerstagnachmittag im Chorhaus der Franckeschen Stiftungen üben lässt. Der Laie, der Ohrenzeuge der Probe sein darf, ist überrascht, wie aus all den Stückchen am Ende ein harmonisches, den Zuhörer emotional bewegendes Ganzes wird.

Geprobt wird in diesen Tagen das Programm für ein Konzert am 8. Mai in der Händel-Halle, das einen Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 900-jährigen Bestehen des Stadtsingechors bildet. 1116 wurde das Ensemble erstmals urkundlich erwähnt. Der hallesche Chor ist damit einer der ältesten Knabenchöre in Mitteldeutschland. Leipzigs Thomaner entstanden knapp ein Jahrhundert später (1212), ebenso der Dresdner Kreuzchor, der in diesem Jahr die 800. Wiederkehr seiner Gründung feiert.

Zum Festkonzert am 8. Mai wird eine Uraufführung zu erleben sein. „Nongenti“ (Neunhundert) heißt das Auftragswerk, das der hallesche Komponist Thomas Buchholz (54) für den Stadtsingechor schrieb. Wie der Titel andeutet, wird die lange Geschichte des Ensembles, das 1565 seinen bis heute gültigen Namen erhielt, musikalisch umgesetzt.

Große Herausforderung

Solch ein Werk einzustudieren, bedeutet eine große Herausforderung für den 90 Sänger zählenden Chor. Der hat dafür nur drei Probennachmittage pro Woche zur Verfügung. Anspruchsvoll ist ein zeitgenössisches Stück wie „Nongenti“ auch, weil keine Referenzen in Form von Tonaufnahmen zur Hand sind, auf die man hörend aufbauen könnte. „Oh, das müssen wir noch einmal üben“, ruft Flämig seinen Akteuren an einer Stelle von „Nongenti“ zu. „Ihr dürft crescendieren“, lautet seine Anweisung für die Soprane an einer anderen.

Den zweiten Teil der Probe gebührt Händels „Messias“ in Mozarts Bearbeitung. Es wird das zweite Stück sein, das zum Festkonzert am 8. Mai erklingt. Auch hier sind es vor allem ausgewählte Passagen, die Flämig von seinen Akteuren hören möchte. „Wir gehen zu Nummer acht, da müsst ihr wach sein“, ruft Flämig und ergänzt: „Das seid ihr doch?“ Kehlige Zustimmung im Chor, obwohl die Probe schon fast zwei Stunden währt und die Spannkraft zu dieser Tageszeit etwas nachlässt.

„Eine Chorkomposition nur durchzusingen bringt nichts“, sagt Flämig. Es sei effektiver, das Gesamtwerk aus einzelnen Steinchen zusammenzusetzen, den Sängern quasi Appetithappen vorzusetzen, die am Ende langer Schul- und Probentage bekömmlicher seien. Zum Schluss dieses Tages gibt es - abermals mit Unterstützung von Korepititor Axel Gebhardt am Klavier - ein Finale, wie es sich der Zaungast schöner nicht wünschen könnte. Bevor Flämig aber das berühmte „Hallelujah“ aus Händels „Messias“ anstimmt, lautet seine Anweisung: „Das singen wir sportlich.“

Der 1976 in Dresden geborene Flämig stammt aus einer musischen Familie, in der, wie er sagt, oft und gern gesungen wurde. Sein Großvater Martin Flämig war von 1971 bis 1991 Kantor des Dresdner Kreuzchors, den auch sein Enkel durchlaufen hat. Nicht zuletzt wegen des großen Namens studierte Clemens Flämig Kirchenmusik und Chorleitung im fernen Freiburg, Mannheim und Trossingen. Im badisch-alemannischen Raum und in der Schweiz war er als Kantor und Organist tätig, von 2011 bis zu seinem Wechsel nach Halle 2014 als Vizedirigent der Knabenkantorei Basel.

Botschafter für die Stadt

Dort war Markus Teutschbein sein Chef, mithin jener Kollege, mit dem er noch im Rennen um die Stelle des Thomaskantors in Leipzig ist. Flämig oder Teutschbein – einer von beiden wird Nachfolger von Georg Christoph Biller, der Anfang 2015 das Amt aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hatte, und, zieht man die Linie weiter zurück, von Johann Sebastian Bach an der Thomaskirche werden. Aus gutem Grund möchte Flämig nicht über das schwebende Verfahren sprechen.

Er sei sich aber bewusst, dass diese Ausschreibung etwas Besonderes ist. „Sich auf solch eine Stelle bewerben zu können, wird einem Musiker nur ein-, höchstens zweimal im Leben zuteil“, sagt Flämig. Er habe Respekt vor der Aufgabe und dem Amt, will sich aber, zumal im Vorfeld der Festivitäten seines Stadtsingechors, nicht aus der Ruhe bringen lassen, auch wenn ihn und seinen Mitbewerber noch eine nichtöffentliche Probe in Leipzig erwartet. „Ich werde mich so vorstellen, wie ich bin.“

Und wie ist er? Gleich, ob man Clemens Flämig während der Probe im Dachgeschoss des Chorhauses oder als Gesprächspartner in seinem Büro erlebt: Er fiebert für das, was er tut. Er liebt die Musik, und er lebt sie. Und wenn er über sie spricht, dann leuchten seine Augen.

Von den anstehenden musikalischen 900-Jahr-Feiern wünscht sich der Chorleiter, dass seine Sänger in Halle und Sachsen-Anhalt stärker wahrgenommen werden mögen. „Denn der Chor ist ein Botschafter für die Stadt und das Land.“ Sagt es und entschwindet. Nicht in den Feierabend, sondern um Emails zu beantworten und die Proben für die nächsten Tage vorzubereiten.  (mz)

Über den Chor und sein Programm: www.stadtsingechor-zu-halle.de