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«Das Leben der Anderen» «Das Leben der Anderen»: Der «Spiegel»-Korrespondent und die Angst der Anderen

Von Christian Eger 11.04.2006, 18:20

Berlin/MZ. - Schreiben auf Maschine

Um Dreyman zu schützen, händigt ihm Hessenstein eine kleine West-Schreibmaschine aus. In der DDR hatte jede Schreibmaschine eine Nummer, deren Besitzer wurde registriert; beim Kauf war der Personalausweis vorzulegen. "Das mit dem Manuskript kann sich so abgespielt haben", sagt Ulrich Schwarz, "das mit der Schreibmaschine nicht." Schwarz, heute 69, war von 1972 bis 1978 und von 1985 bis zum Ende der DDR "Spiegel"-Korrespondent in Ostberlin. Nach der Veröffentlichung des Manifests einer parteiinternen SED-Opposition waren Schwarz und sein Kollege Jörg R. Mettke 1978 aus der DDR geschmissen worden; 1985 wurde das Verbot aufgehoben. Der "Spiegel" bezog sein Büro in einem 18-Geschosser in der Lenin-Allee 175. Hier saß Redakteur Schwarz - unter der Wohnung des Star-Schauspielers Kurt Böwe.

Die Schreibmaschinen-Episode sei sachlich überflüssig, sagt Schwarz. "Wir West-Korrespondenten wurden an der Grenze nicht kontrolliert." 1976 habe er einen Koffer mit Manuskripten des Dissidenten Jürgen Fuchs von Robert Havemanns Wohnung in Grünheide aus in den Westen gebracht. Das Oppositions-Papier von 1978 habe sich Schwarz von dem Wirtschaftswissenschaftler Hermann von Berg in dessen Wohnung diktieren lassen. "Das dauerte zwei Stunden. Ich hatte eine dicke Hand." Berg ging sieben Jahre ins Zuchthaus; 1986 wurde er in den Westen abgeschoben.

Doch man kommt dem Debütfilm von Florian Henckel von Donnersmarck weder mit ästhetischen noch zeitgeschichtlichen Einwänden bei, man schaut ja eigentlich durch dessen Figuren hindurch: auf den Staat DDR, dessen Gesellschaft, sich selbst. Schwarz, der den SED-Staat hasste, als Journalist aber genau dort seine "besten Jahre" verbrachte, ist beeindruckt vom Kinofilm. "Er trifft das System der Stasi genauso, wie ich es kennengelernt und empfunden habe."

So sei es nebensächlich, ob es die Wiesler-Figur tatsächlich so gegeben habe. Auch der dargestellte Kulturminister war ja keinesfalls der Stasi gegenüber weisungsberechtigt. "Für mich ist diese Filmfigur Mielke", sagt Schwarz. "Diese Korruptheit und Menschenverachtung." 1972 kam der katholische Theologe Ulrich Schwarz zum Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", 2003 ging er in den Ruhestand und lebt heute in Berlin. Dieser Tage, erzählt Schwarz, habe sich ein ehemaliger IM bei ihm gemeldet, um über den Kinofilm zu reden. Schwarz hat ihn gefragt, was darin nicht zutreffe. Es habe keinen Prostituierten-Service für die hauptamtliche Stasi gegeben.

Böwe wehrte ab

Auch die aufwändige Überwachung, die im Film rund um den Schriftsteller und dessen Bühnenstar-Partnerin (Martina Gedeck) gebaut wird, war eine Maßnahme der 60er und 70er, nicht mehr der hier vorgeführten 80er Jahre. Doch egal. "Diese Menschen fühlten sich bedroht", sagt Schwarz, der sich im DDR-Kultur-Milieu auskannte.

Kurt Böwe zum Beispiel. Dem hatte Schwarz angeboten, wöchentlich den "Spiegel" in den Briefkasten zu stecken; Böwe habe entsetzt abgelehnt. Genauso der Filmregisseur Frank Beyer: Der hatte Interesse an "Spiegel"-Artikeln, in seinen Haushalt wollte er sich diese nicht tragen lassen. Angst also. Das noch Mitte der 80er Jahre, als zahlreiche Künstler bereits ein West-Visum besaßen. Was Schwarz heute im Blick zurück auf die DDR umtreibt? Die außerordentlich hohe Zahl der Denunzianten, sagt er. Und die Gleichgültigkeit dem Stasi-Thema gegenüber. Für Schwarz ist es ein Desinteresse von Westen her.