Clauss Dietel im Porträt Clauss Dietel im Porträt: Designer Dietel hat die DDR auf seine Art gestaltet

Chemnitz - Den Begriff Designer mag Clauss Dietel eigentlich nicht. Auch mit Formgestalter kann der Chemnitzer wenig anfangen. „Das ist eine Tautologie. Denn beim Gestalten entsteht immer eine Form“. Der bekannteste Vertreter dieser Zunft in Ostdeutschland nennt sich schlicht Gestalter. Lange blieb das Wirken Dietels und seiner Mitstreiter im vereinten Deutschland unterbelichtet. Im Alter von fast 80 Jahren wird Dietel nun eine späte Ehre zuteil. Am Donnerstag erhält er in Berlin den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk. „Ich betrachte das als Würdigung für die Arbeit vieler Kollegen im Osten“, sagt der Preisträger.
Dietel hat Dinge gestaltet, die jeder Ostdeutsche aus der Vorwende-Ära kennt. Er war nicht nur am Entwurf des Wartburg 353 beteiligt, sondern konzipierte beispielsweise auch das Moped S 50, Erika-Schreibmaschinen oder das Farbkonzept zum Großen Saal der Chemnitzer Stadthalle. Das „Designerlexikon International“ würdigt seine Radio-Entwürfe. Dietel prägte den Begriff „Gebrauchspatina“: Wie lassen sich Gegenstände so gestalten, dass die täglichen Gebrauchsspuren den Dingen mit der Zeit quasi Leben einhauchen? Bei manchen Produkten kennt man den Effekt, dass sie ihre ästhetische Schönheit erst beim Altern entfalten.
Natürlich hat das Altern auch bei Dietel selbst Spuren hinterlassen. Der Bart ist ergraut, die Hände sind nicht mehr ganz so ruhig wie früher. Doch wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag (10. Oktober) strahlt er noch jede Menge Lebenslust aus. Sein Wohnhaus in der Nähe des Chemnitzer Zeisigwaldes dient zugleich als Werkstatt. Ein großes Reißbrett gehört auch heute noch zum Arbeitsgerät. Auf dem Tisch liegen mehrere Steine, die einfach schön in der Hand liegen. Von der Natur hat sich Dietel oft inspirieren lassen. „Jede Blüte ist eine Faszination“, sagt der Gestalter und schwärmt davon, welche Spuren die Wellen des Meeres am Strand in den Sand zeichnen.
Dietel ist auf dem Land groß geworden. Sein Vater besaß dort eine Autovermietung, was die berufliche Entwicklung des Sohnes später beeinflusste. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Vater als Unternehmer eingestuft, weshalb sein Junge in der DDR nicht direkt auf die Hochschule durfte und zunächst Schlosser lernte. „Das habe ich nie bereut, das hat mir später sehr geholfen.“ Nach der Lehre studierte er an der Ingenieurschule Zwickau Karosseriebau. Bis 1961 folgte ein Studium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Seine Diplomarbeit führte ihn an die studentischen Anfänge zurück: Er entwarf einen Mittelklassewagen.
Auf der nächsten Seite: Warum Gestalter in den Westen flohen und Apple ohne Bauhaus undenkbar wäre.
Dass die DDR zu Beginn der 60er-Jahre international anerkanntes Design lieferte, führt Dietel nicht nur auf die guten Lehrer zurück, die meist aus der Bauhaus-Schule stammten. „Administrativ unterstand die Produktgestaltung damals dem Ministerium für Kultur, das ermöglichte ein gutes Arbeiten.“ 1972 entstand jedoch das Amt für industrielle Formgestaltung. „Je größer es wurde, desto weniger kam dabei heraus“, sagt Dietel, der seit 1963 freischaffend tätig war. Die DDR habe versucht, viele Gestalter als Angestellte in feste Arbeitsverhältnisse zu pressen. „Die Folge davon war, dass in keiner Berufsgruppe so viele in den Westen gingen.“
Dietel blieb und schrieb im Osten Design-Geschichte. Den Eisernen Vorhang habe es für Designer erst mit dem Ende des Prager Frühlings gegeben, erinnert er sich. Fortan habe man keine internationalen Fachzeitschriften mehr beziehen dürfen. Als Schaufenster dienten nun die Leipziger Messen. Dietel entwickelte das „offene Prinzip“. Die Bauteile sollten möglichst offen sichtbar und so zusammengefügt sein, dass sie bei Verschleiß oder technischer Neuerung austauschbar waren - ohne das Grundkonzept zu verändern. Anforderungen an ein Produkt beschrieb er mit den „großen fünf L“: Langlebig, Leicht, Lütt (klein), Lebensfreundlich und Leise.
Auch als Hochschullehrer und Funktionär im Verband Bildender Künstler machte sich Dietel einen Namen. Von 1988 bis 1990 war er dessen Präsident. In den letzten DDR-Jahren amtierte er zudem als Direktor der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg. „Es gab nichts Entfernteres von der Machtzentrale als Schneeberg“, sagt Dietel über den Job im kleinen Erzgebirgsstädtchen. Nach der Wende blieb er ein gut beschäftigter Mann. Wenn er heute über gutes Design nachdenkt, fällt ihn beispielsweise Apple ein: „Apple hat eine Konstanz der sauberen Form. Apple ist ohne das Bauhaus nicht denkbar.“
Computer hätten die Produktgestaltung revolutioniert. Im Zeitalter der Rechner könne das Unikat zum Serienprodukt werden. „Beim Autohändler bekommt man heute ein auf seine Wünsche hin maßgeschneidertes Auto. Auch Serienprodukte werden so individueller“, sagt Dietel. Nur mit der inflationären Verwendung des Begriffs Design hat er ein Problem. Dass heute selbst vom Wurstdesign die Rede ist, findet er albern.
