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Claudia Berg Claudia Berg: Streifzüge durch die Dürerzone

Von Christian Eger 18.12.2007, 18:23

Halle/MZ. - "Ich begreife, indem ich zeichne", sagt Claudia Berg, die hierzulande zu den überraschendsten Künstlern gehört. Geboren in Halle, wo sie aufwuchs, studierte und bis heute gerne lebt. Ist Halle eine den Künsten zuträgliche Stadt? Ja, sagt die 31-Jährige. "Aber doch eher ein Ort zum Arbeiten." Wirtschaftlich sei das Gelände schwer zu bestellen, Käufer finde man meist anderswo. "Andererseits, viele gute Künstler wachsen hier nach, das stellt einen selbst in Konkurrenz."

Zudem sei Halle ein Platz, von dem aus man gut in die Welt aufbrechen könne, sagt sie. "Toll ist es, zurückzukommen, immer wieder." Und eindrücklich, was Claudia Berg von ihren Fahrten nach Hause trägt. Eine altmeisterliche Genauigkeit wirkt in ihren Radierungen, die über einen gleichermaßen realistischen wie poetischen Eigensinn verfügen. Winterlandschaften, die sie in den großen europäischen Galerien nach den Vorlagen des Holländers Hendrick Avercamp oder des Flamen Peter Brueghel zeichnete. Bildnisse, in denen man die Kälte knacken hören kann. Die schweren Himmel über der Mark Brandenburg oder über dem Arnimschen Flämingflecken Wiepersdorf. Feld- und Wiesenstücke zu Versen von Volker Braun, dessen Gedichtzyklus "Vor den Ruinen" sie grafisch gestaltete. Man sieht so viel Gelingendes selten.

Von der Arbeit in der "Dürerzone" schreibt Braun über Berg und deren "Rasenstück mit Trafohäuschen": "dreckig, flämingsch braun, wie viele Wetter nisten darin, und Arbeit wühlt drunter, ein Trafohäuschen starrt, Industrien weggesunken, dann heitert die Landschaft auf, die Gestalt geht (:mir sichtbar) hindurch, der Himmel hingeatmet, ,mit hoher Brust' -".

In der Tat: Man tritt in Claudia Bergs Bildwelt wie in eine kraftvoll atmende Landschaft. Über Raum und Tiefe verfügt diese Welt, über soziale und geistige Energie. Diese Wirkung ist keine Selbstverständlichkeit bei einer Kunst, die ihren Gegenstand, bevor er zum Druck gelangt, in eine Metallplatte zu ritzen hat. Aber Claudia Berg zeichnet malerisch und sie malt, in dem sie die zeichnerischen Elemente zum Schwingen bringt. Spielerisch bei allem Ernst, transparent in den Details. Was für ein Glücksfall an wie selbstverständlichem Können.

Viele Sorten von Licht

Claudia Berg lebt in Halle-Giebichenstein, dort, wo das Viertel kleinteilig und auf verspielte Art ländlich ist. Zu ihr gehören ein Ehemann, zwei Söhne und ein Haus, dessen hölzerne Treppe zum Atelier im ersten Stockwerk führt. Die Fenster gehen zur Straßen- und Hofseite ab. Draußen der milchige Dezember, an den Wänden Zeichnungen der Söhne Hermann und Fritz, eigene Arbeiten, Bücherregale. "Seit ich zehn Jahre alt war, stand für mich fest, dass ich zeichnen werde", sagt Claudia Berg. Kein Steinchen habe sich ihr in den Weg gelegt. Nie stand zur Debatte, anderswo als in Halle zu studieren. Klassische Archäologie hätte sie reizen können - oder Ägyptologie. Sie studierte von 1995 bis 2002 Malerei und Grafik bei Frank Ruddigkeit und Thomas Rug. Das Archäologische, das ein Freilegen verschütteter Inhalte ist, hat sie in ihre künstlerische Arbeit geholt.

Nach ihrem Studium hat es Claudia Berg zu längeren Aufenthalten nach Spanien, China und in die Niederlande gezogen. "Es geht darum, den Blick zu erweitern, den künstlerischen und geistigen Horizont", sagt sie. Was man in Spanien lernen könne? "Zum Beispiel, wie eine Hafenstadt lebt. Dass es viele Sorten von Licht gibt. Wärmer und schärfer als hierzulande, wo die Sonne um einiges tiefer steht." Und: "Wenn das Licht so verrückt ist wie in Spanien, ist man irgendwann gezwungen zu malen." Auch das sei ihr klar geworden vor Ort: "Goya hatte seine Manier gefunden, weil er Velázquez kannte - und Picasso, weil er sowohl Velázquez als auch Goya begriffen hatte."

Sobald es nur immer die Zeit erlaubt, reist Claudia Berg nach Italien. So ist sie durch Rom gezogen, auf den Spuren von Goethes "Italienischer Reise". Aber auch durch das arkadische Mitteldeutschland: die Wörlitzer Anlagen, August Rodes Gartenführer von 1784 zur Hand. Ein Wörlitz-Künstlerbuch ist so entstanden, das auch deshalb großartig ist, weil es der anhaltischen Kunstlandschaft gegenüber eigenständig bleibt, die zu klischeehaften Standbildern einlädt.

Fluss der Finsternis

In diesem Jahr veröffentlichte Claudia Berg Radierungen zu Joseph Conrads Kongo-Roman "Herz der Finsternis". Ein Buchkunstwerk, herausgegeben in der - nur für Mitglieder offenen - Büchergilde Gutenberg: Bergs Bilder, Conrads Prosa, Urs Widmers Übersetzung und das kluge Nachwort aus seiner Hand. Auf dem hölzernen Atelierboden breitet Claudia Berg die Blätter zum Conrad-Buch aus: der Kongo-Fluss, die Hütte des Handelsagenten, auf deren Zaunpfählen Köpfe spießen, der Wald der sterbenden Sklaven, die sichtbar werden auf den zweiten Blick.

Kitschfern, kompromisslos, eigenständig. Man blickt auf Claudia Bergs grafische Blätter und begreift Joseph Conrad: "Es ist ein Wald, in dem niemand den Weg kennt. Man ist verloren, während man noch ruft: ,Ich bin gerettet!'"

Die Künstlerin im Internet: www.claudia-berg-grafik.de